Entscheidungsstichwort (Thema)
Einsicht in Bedienungsanleitung des Messgerätes
Leitsatz (amtlich)
Befindet sich im Bußgeldverfahren die Bedienungsanleitung eines standardisierten Messgeräts nicht in den Akten, so kann auf ein unterlassenes Beiziehen der Anleitung ein Gehörsverstoß jedenfalls dann nicht erfolgreich gestützt werden, wenn das Gericht eine Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung in den Räumen der Bußgeldbehörde angeboten hat. Insoweit gilt der sogenannte formelle Aktenbegriff.
Normenkette
GG Art. 103; StPO §§ 147, 338 Nr. 8
Tenor
Der Zulassungsantrag wird verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war zu verwerfen, weil gegen den Betroffenen eine Geldbuße von nicht mehr als 100 EURO festgesetzt worden und es nicht geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des sachlichen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 OWiG).
I.
Soweit der Betroffene die Rüge der Verletzung formellen Rechts erhebt, kann er nach Maßgabe von § 80 Abs. 2 OWiG in vorliegendem Verfahren hiermit kein Gehör finden.
II.
Soweit der Betroffene im Hinblick auf die ihm nicht mit den Akten übersandte Bedienungsanleitung des maßgeblichen Messgeräts eine Verletzung des rechtlichen Gehörs - sowie hiermit eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung - geltend macht, ist die Rüge nicht in der nach §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form ausgeführt worden. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Zuschrift ausgeführt:
"Nach diesen Vorschriften muss bei einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein auf Grund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft.
Rügt der Beschwerdeführer die Versagung des rechtlichen Gehörs, muss durch den Tatsachenvortrag in der Begründungsschrift schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoß gegen Art. 103 GG vorliegt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur dann verletzt, wenn dem Betroffenen keine Möglichkeit eingeräumt wird, sich zu allen entscheidungserheblichen und ihm nachteiligen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 80 Rdnr. 16a m.w.N.).
Die Beschwerdebegründung verhält sich bereits nicht zu der Frage, aus welchem Grund die vom Gericht angebotene Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung des Messgeräts beim Landkreis S. nicht möglich bzw. der hierfür gewährte Zeitraum von einer Woche nicht ausreichend gewesen sein soll.
Die in Rede stehende Bedienungsanleitung war vom Akteneinsichtsrecht der Verteidigung nach § 147 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG nicht erfasst. Der Aktenbegriff dieser Vorschrift erfasst die von der Staatsanwaltschaft dem Amtsgericht gemäß § 69 Abs. 4 S. 2 OWiG vorgelegten Akten, die danach entstandenen Aktenteile und die vom Gericht herangezogenen oder von der Staatsanwaltschaft nachgereichten Beiakten (vgl. BGHSt 30, 131, 138f.). Die Bestimmung gibt keinen Anspruch auf Erweiterung des Aktenbestands ("formeller Aktenbegriff"). Die Bedienungsanleitung war weder mit den Akten vorgelegt noch vom Gericht beigezogen worden. Eine Verletzung des Akteneinsichtsrechts scheidet mithin aus. Die unterlassene Ergänzung des Aktenbestands durch Beiziehung weiterer Unterlagen kann nur über das Beweisantragsrecht bzw. die gerichtliche Aufklärungspflicht geltend gemacht werden. Eine solche Verfahrensrüge, die nicht dem Schutzbereich des rechtlichen Gehörs unterfällt, ist bei Verhängung einer Geldbuße von nicht mehr als 100 € von vorneherein nicht geeignet, die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu gebieten (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG).
Der Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO ist im Übrigen nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und Urteil konkret besteht. Bei der Rüge der Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt durch Ablehnung eines Akteneinsichtsantrags bzw. Aussetzungsantrags ist daher - wie bei der Aufklärungsrüge - ein substantieller Vortrag erforderlich, welche Tatsachen sich ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung darauf folgten. Damit korrespondiert das Erfordernis eines möglichst konkreten Vortrags (vgl. BGH NStZ 2010, 530, 531 m.w.N.). Auch diesen Anforderungen wird der Vortrag des Beschwerdeführers nicht gerecht. Er zeigt keine konkreten Anhaltspunkte auf, die Anlass für Zweifel an der Ordnungsgemäßheit des Messergebnisses geben könnten.
Das Amtsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass keinerlei Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung erkennbar seien. Gerade bei einem stationären standardisierten Messgerät, das nicht von Menschen bedient werde, ist die Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung des Geräts ohne konkrete Anhaltspunkte "ins Blaue hinein" nicht erforderlich und auch für die Verteidigung nicht notw...