Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschein eines Verwerfungsurteils außerhalb der Hauptverhandlung
Leitsatz (amtlich)
Verwirft das Amtsgericht den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG zwar nach durchgeführter, aber außerhalb der Hauptverhandlung und wird dem Betroffenen die Ausfertigung eines Urteils zugestellt, die bei diesem den Eindruck erwecken muss, die Verwerfung sei innerhalb der Hauptverhandlung erfolgt, ist auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen der Rechtsschein eines solchen Urteils zu beseitigen.
Normenkette
OWiG § 74 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Hannover (Entscheidung vom 11.01.2012) |
Tenor
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 11. Januar 2012 wird aufgehoben.
2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass ein Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 27. Oktober 2011 in dieser Sache nicht ergangen ist.
3. Die Landeskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen.
Gründe
I. Die Landeshauptstadt H. erließ am 3. Juni 1911 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h. Gegen den Betroffenen wurde eine Geldbuße von 160 € festgesetzt. Ferner wurde unter Anwendung von § 25 Abs. 2 a StVG ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet (Aktenzeichen 588.25.530947.9). Gegen den Bußgeldbescheid hat der Betroffene am 15. Juni 2011 Einspruch eingelegt.
Unter dem 14. Oktober 2011 bestimmte das Amtsgericht Hannover Termin zur Hauptverhandlung auf den 27. Oktober 2011 und lud den Betroffenen hierzu. In der Sitzung erschien der Betroffene nicht. In dem Protokoll der Hauptverhandlung heißt es:
"Die ordnungsgemäße Ladung d. Betroffenen konnte noch nicht festgestellt werden.
Entschuldigung lag nicht vor.
Es soll - vorbehaltlich einer ordnungsgemäßen Ladung - verworfen werden."
Sodann enthält das Protokoll einen Fertigstellungsvermerk vom 27. Oktober 2011 und die Unterschriften des Amtsrichters sowie der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Handschriftlich hat der Richter auf dem Protokoll zudem vermerkt, dass ihm der Vorgang nach Eingang der Zustellurkunde, spätestens nach drei Wochen wieder vorgelegt werden solle.
Dem Protokoll nachgeheftet befinden sich in dem Vorgang diverse Urkunden und Schriftstücke, die offenbar von der Vertreterin der Verwaltungsbehörde im Hauptverhandlungstermin am 27. Oktober 2011 überreicht worden waren. Lediglich die erste Seite dieser Unterlagen trägt das Kürzel der Urkundsbeamtin, die weiteren Seiten sind ohne entsprechenden Vermerk. Dem folgt im Vorgang ein Schreiben der Landeshauptstadt H. vom 21. Oktober 2011, das den Eingangsstempel des Amtsgerichts Hannover vom 26. Oktober 2011 trägt. Der im Anschluss daran in den Vorgang gehefteten Zustellungsurkunde über die Ladung des Betroffenen zum Termin am 27. Oktober 2011 ist zu entnehmen, dass diese dem Betroffenen erst am 24. Oktober 2011 zugestellt worden ist. Zwei weitere Seiten später findet sich ein vom Richter und der Urkundsbeamtin unterschriebener Formulartext, der üblicherweise im Fall des Ausbleibens des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin trotz Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen verwendet wird. Hierin heißt es, dass gegen den Betroffenen ein Urteil durch Verlesen der Urteilsformel unter mündlicher Mitteilung der wesentlichen Urteilsgründe verkündet worden sei. Der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid werde verworfen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Betroffene zwar rechtzeitig Einspruch gegen den Bußgeldbescheid erhoben habe, nach der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde ihm die Ladung am 24. Oktober 2011 zugestellt worden und er dennoch der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei. Das Schriftstück trägt einen von der Justizangestellten M. gezeichneten Stempel, wonach das Urteil zur Geschäftsstelle am 16. November 2011 gelangt sei. Auf der Rückseite der vor diesem Text im Vorgang abgehefteten Seite findet sich die Verfügung des Amtsrichters, wonach das Verwerfungsurteil an den Betroffenen gegen ZU zuzustellen sei. Diese Verfügung trägt ebenfalls das Datum 16. November. Im Anschluss daran findet sich in dem Vorgang eine Leseabschrift eines Urteils des Amtsgerichts Hannover vom "27. Oktober 2011", das unter Ergänzung des Rubrums im Übrigen dem Text des Urteils, das am 16. November 2011 zur Geschäftsstelle gelangt ist, entspricht. Eine entsprechende Ausfertigung ist dem Betroffenen am 26. November 2011 zugestellt worden.
Mit Eingang vom 2. Dezember 2011 hat der Betroffene die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das in Abwesenheit des Betroffenen ergangene Urteil vom 27. Oktober 2011 beantragt. Hilfsweise hat er Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil erhoben und die Verletzung sachlichen und formellen Rechts gerügt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist rechtskräftig verworfen worden. Daraufhin hat das Amtsgericht Hannover am 11. Januar 2012 die Rechtsbeschwerde als unzuläss...