Leitsatz (amtlich)
Auch notwendige Prozesskostenhilfe (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO) ist erst dann zu gewähren, wenn feststeht, dass das Berufungsgericht von der Möglichkeit, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, keinen Gebrauch macht.
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Aktenzeichen 4 O 2/07) |
Tenor
Der Antrag der Beklagten zu 2, ihr Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz zu bewilligen, wird gebührenfrei zurückgewiesen. außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beklagte zu 2 begehrt Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen die Berufungen des Klägers und seines Streithelfers.
Die Klage ist in erster Instanz abgewiesen worden. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Streithelfers des Klägers vom 11. Juli 2007 ist mit am 17. September 2007 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet worden. Die Berufung des Klägers gegen das landgerichtliche Urteil ist mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2007 begründet worden. Eine Frist zur Berufungserwiderung hat der Vorsitzende des Senats der Beklagten zu 2 in beiden Fällen nicht gesetzt. Unter dem 26. Oktober 2007 hat der Senat einen Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO erlassen, in dem er darauf hingewiesen hat, dass er beabsichtigt, die Berufung zurückzuweisen. Dem Kläger und dessen Streithelfer ist diesbezüglich eine Frist zur Stellungnahme bis zum 19. November 2007 gesetzt worden. Mit Schriftsatz vom 23. November 2007 hat die Beklagte zu 2 beantragt, ihr Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz zu bewilligen. Mit Beschluss vom 26. November 2007 sind die Berufungen des Klägers und des Streithelfers gegen das landgerichtliche Urteil durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen worden.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war zurückzuweisen.
1.
Zwar ist nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Diese Prüfungsbeschränkung kann jedoch nicht ausnahmslos gelten. Sie beruht zum einen darauf, dass das Urteil der Vorinstanz eine Vermutung dafür begründet, dass die Verteidigung desjenigen, der in der Vorinstanz obsiegt hat, Aussicht auf Erfolg hat. Wo diese Vermutung nicht gerechtfertigt ist, findet § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO keine Anwendung (vgl. die Nachweise bei Zöller/Phillippi, ZPO, 26. Aufl., § 119 Rdnr. 56).
Nichts anderes kann gelten, wenn die zweite Annahme, auf der die Regelung des § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO beruht, nämlich dass die Verteidigung im Rechtsmittelverfahren notwendig ist, nicht vorliegt, und eine Partei, die die Kosten des Rechtsstreits selbst zu tragen hätte, unzweifelhaft von der Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten für das Berufungsverfahren abgesehen hätte.
Die Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, entsteht weder mit der Kenntnisnahme von der eingelegten Berufung noch mit der von der vorgelegten Berufungsbegründung als solches. Vielmehr muss ein Rechtsanwalts solange tätig werden, wie das Berufungsgericht den Berufungsbeklagten noch nicht zur Erwiderung auf die Berufung aufgefordert und darüber entschieden hat, ob nach § 522 Abs. 2 ZPO verfahren werden soll (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 26. September 2006 - 6 U 88906. OLG Celle, Beschluss vom 8. Oktober 2007 - 4 U 9407. OLG Celle, Beschluss vom 28. Oktober 2003 - 6 U 17003. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 30. November 2005 - 1 U 10405. Musielak/Fischer, ZPO, 5. Aufl., § 119 Rdnr. 20. zumindest für den Fall, dass das Berufungsgericht unmittelbar nach Eingang der Berufungsbegründung darauf hingewiesen hat, dass es nach § 522 Abs. 2 ZPO vorzugehen beabsichtigt: OLG Köln, Beschluss vom 20. Januar 2006 - 22 U 17005. OLG Nürnberg, Beschluss vom 16. März 2004 - 4 U 24704. Zöller/Phillippi, a. a. O., § 119 Rdnr. 55).
Der armen Partei, die in erster Instanz obsiegt hat, gehen dadurch, dass sie zunächst abwarten muss, ob das Berufungsgericht nach § 522 Abs. 2 ZPO vorgeht, keine Rechte verloren. Soweit diesbezüglich argumentiert wird, der armen Partei dürfe ihr Einflussrecht auf den Prozess nicht genommen werden (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 3. November 2004 - 6 U 7104) überzeugt dies nicht. Wird die Berufung auf das bisherige tatsächliche Vorbringen gestützt, ist die Möglichkeit zur Einflussnahme für die arme Partei als überaus gering anzusehen. Das Berufungsgericht hat in diesem Fall (nur) zu überprüfen, ob die rechtlichen Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts zutreffend sind. Dabei kann und wird es auch die in erster Instanz gemachten rechtlichen Ausführungen des Berufungsbeklagten berücksichtigen. Die Frage der Einflussnahmemöglichkeit der armen Partei stellt sich erst dann, wenn die Berufung mit neuen Tatsachen begründet wird und es für das weitere Verfahren entscheidend ist, ob diese Tatsachen unstreitig bleiben oder bestritten werden. In solchen Fällen erg...