Entscheidungsstichwort (Thema)
Unerlaubte Einreise eines Ausländers mit tschechischem Aufenthaltstitel
Leitsatz (amtlich)
Verfügt ein Ausländer über einen rechtmäßig erworbenen nationalen Aufenthaltstitel eines Schengen-Mitgliedstaates, das ihn zur Einreise als Tourist nach Deutschland berechtigt, liegt eine unerlaubte Einreise im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG auch dann nicht vor, wenn diese zum Zweck der illegalen Arbeitsaufnahme erfolgt.
Normenkette
AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 2, Abs. 6, § 96 Abs. 1, 2 Nr. 1, Abs. 3, § 14; SchÜbkDÜbk Art. 5 Abs. 1, Art. 21; GG Art. 103 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Hannover (Entscheidung vom 26.03.2014) |
Tenor
Die weitere Beschwerde wird mit der Maßgabe verworfen, dass der dringende Tatverdacht in den Fällen 6. bis 12. des Haftbefehls des Amtsgerichts Hannover vom 26. März 2014 entfällt und hinsichtlich Ziffer 13 dringender Tatverdacht wegen versuchten Einschleusens von Ausländern besteht.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschuldigte.
Gründe
I.
Die Beschuldigte befindet sich seit ihrer Festnahme am 1. April 2014 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hannover vom 26. März 2014 (Aktenzeichen: 277 Gs 11/14) in Untersuchungshaft. Der Beschuldigten wird in dem Haftbefehl vorgeworfen, in Hannover im Zeitraum vom 11. Februar 2011 bis zum 17. März 2014 durch 13 Straftaten jeweils wiederholt handelnd einem Anderen dazu Hilfe geleistet zu haben, eine Handlung nach § 95 Abs. 2 AufenthG zu begehen, wobei sie in den Fällen 1. bis 5. und 13. gewerbsmäßig gehandelt habe. In den Fällen 1. bis 5. soll die Beschuldigte mehreren vietnamesischen Staatsangehörigen mittels Gefälligkeitseinladungen Touristenvisa für die Schengener Vertragsstaaten verschafft und sie nach der Einreise in Scheinehen mit deutschen Staatsangehörigen vermittelt haben. Sodann seien unter Berufung auf die Eheschließung bei deutschen Behörden Aufenthaltsgenehmigungen beantragt worden sein. Hierfür soll die Beschuldigte jeweils einen Betrag in Höhe von 30.000 bis 40.000 € erhalten haben. In den Fällen 6. bis 12. soll die Beschuldigte vietnamesische Staatsangehörige, die über eine tschechische Aufenthaltsgestattung verfügten, durch attraktive Angebote dazu animiert haben, nach Deutschland zu reisen, und diese anschließend illegal in ihren Betrieben beschäftigt haben. Dabei soll sie in den Fällen 6. und 7. den vietnamesischen Staatsangehörigen zudem blanko entwendete italienische Identitätskarten, in die deren Personalien eingetragen worden waren, verschafft haben. Schließlich soll die Beschuldigte im Fall 13. einen vietnamesischen Staatsangehörigen, der über eine ungarische Aufenthaltserlaubnis verfügte, in einem ihrer Betriebe beschäftigt haben und ihm zudem eine Scheinehe mit ihrer Tochter in Aussicht gestellt haben, wofür sie ca. 18.000 € erhalten haben soll.
Nach dem Haftbefehl beruht der dringende Tatverdacht auf den bisherigen Ermittlungsergebnissen der Polizei. Als Haftgrund ist Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO angenommen worden.
Die Beschwerde der Beschuldigten hat die Kammer mit dem angefochtenen Beschluss verworfen. In den Fällen 1. bis 5. sei dringender Tatverdacht gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 96 Abs. 1 Nr. 1 b, Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, in den Fällen 6. bis 13. dringender Tatverdacht gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 96 Abs. 1 Nr. 1 b AufenthG gegeben. Dass die betroffenen vietnamesischen Staatsangehörigen sich im Besitz einer tschechischen bzw. ungarischen Aufenthaltserlaubnis befunden haben, die gemäß Art. 5 EG-VO 562/2006 zum Aufenthalt bis zu drei Monaten in der Bundesrepublik berechtigt, stehe der Annahme einer unerlaubten Einreise i. S. des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG in den Fällen 6. bis 13. nicht entgegen, da eine Einreise zum Zwecke der Erwerbstätigkeit ohne die gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erforderliche Aufenthaltsgenehmigung erfolgt sei.
Gegen diesen Beschluss hat die Beschuldigte weitere Beschwerde erhoben, die sich allein gegen die Annahme von Fluchtgefahr richtet.
II.
Die weitere Beschwerde ist zulässig (§ 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO), hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Es besteht dringender Tatverdacht, dass die Beschuldigte jedenfalls in 6 Fällen gegen das Aufenthaltsgesetz verstoßen hat.
a) In den Fällen zu Ziffer 1. bis 5. des Haftbefehls begründet sich der dringende Tatverdacht auf die Ergebnisse der durchgeführten Observationen und Telekommunikationsüberwachungen sowie weitere Indizien. Dass die Beschuldigte der vietnamesischen Staatsangehörige T. T. L. Ng. bei der Einreise nach Deutschland Hilfe geleistet hat (Ziff. 1), lässt sich daraus schließen, dass diese in dem Antrag auf Erteilung ihres Visums den Namen der Beschuldigten als Einladende angegeben hat und auch der Flug von Vietnam über die E-Mail-Adresse der Beschuldigten gebucht worden ist. Hinsichtlich der anschließend eingegangenen Eheschließung liegen Erkenntnisse über die fehlende Ernsthaftigkeit sowie die unterstützenden Handlungen der Beschuldigten aufgrund des Inhalts mehrerer Telefonate vor. Er...