Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslieferungshindernis bei Bewährungswiderruf in Abwesenheit
Leitsatz (amtlich)
Bei einem Auslieferungsersuchen zur Strafvollstreckung ergibt sich weder ein Auslieferungshindernis nach § 83 Nr. 3 IRG noch nach § 73 IRG daraus, dass der Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Weisungen oder Auflagen nicht in Anwesenheit des Verurteilten erfolgt ist, wenn eine mündliche Anhörung wegen Unerreichbarkeit des Verurteilten unmöglich war.
Normenkette
IRG §§ 73, 83 Nr. 3
Tenor
1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen zum Zweck der Strafvollstreckung wegen der im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in P. vom 5. Dezember 2011 (Aktenzeichen: III Kop 230/11) bezeichneten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr aus dem Urteil des Amtsgerichts P. vom 23. November 2005 (Aktenzeichen: V K 848/05) ist zulässig.
2. Der Haftbefehl des Senats vom 8. Februar 2012 wird wieder in Vollzug gesetzt.
Gründe
I. Die Justizbehörden der Republik Polen betreiben auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts in P. vom 5. Dezember 2011 (Az.: III Kop 230/11) die Auslieferung des Verfolgten zum Zweck der Strafvollstreckung. Danach ist der Verfolgte durch das Urteil des Amtsgerichts P. vom 23. November 2005 (Aktenzeichen V K 848/05) wegen Betrugs in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Die Strafe ist noch voll zu verbüßen, nachdem die ursprüngliche Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung durch Beschluss des Amtsgerichts P. vom 8. Mai 2008 (Aktenzeichen VIII Ko 1614/08) widerrufen worden war, weil der Verurteilte sich der Aufsicht des Bewährungshelfers entzogen und die Auflage der Schadenswiedergutmachung nicht erfüllt hatte. Das der Verurteilung zugrunde liegende Verhalten des Verfolgten wird im Europäischen Haftbefehl wie folgt beschrieben:
"I. In der Zeitdauer vom 09. Dezember 1998 bis zum 16. März 1999 in P., indem er die fortgesetzte Tat begangen hat, hat D. L. den Betrag von 9.433,06 Zloty zum Schaden der P. P. auf diese Weise erschwindelt, dass er als Besitzer des Girokontos Nr. ... das Geld mit der Geldkarte P. Exoress (Express) abgehoben hat, indem er davon wusste, dass der Kontostand solche Verfügungen nicht zulässt, wobei hat er diese Straftat innerhalb von 5 Jahren nach Vollstreckung von mindestens sechs Monaten der Freiheitsstrafe begangen, die wegen der vorsätzlichen ähnlichen Straftat erkannt wurde.
II. In der Zeitdauer vom 26. Mai 1999 bis zum 01. Juni 1999 in P., indem er die fortgesetzte Tat begangen hat, hat D. L. den Betrag von 3.683,23 Zloty zum Schaden von B. W. P. auf diese Weise erschwindelt, dass er als Besitzer des Girokontos Nr. ... die Barscheck ausgestellt und persönlich eingelöst hat, überdies hat er das Geld mit der Geldkarte abgehoben, indem er davon wusste, dass der Kontostand solche Verfügungen nicht zulässt, wobei hat er diese Straftat innerhalb von 5 Jahren nach Vollstreckung von mindestens sechs Monaten der Freiheitsstrafe begangen, die wegen der vorsätzlichen ähnlichen Straftat erkannt wurde."
Der Verfolgte wurde am 6. Februar 2012 in H. vorläufig festgenommen und am am 7. Februar 2012 dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Neustadt a. Rbge. vorgeführt. Der Verfolgte hat sich mit einer vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt. Er hat angegeben, dass er seit 5 Jahren mit seiner Ehefrau und seinen beiden 15 und 16 Jahre alten Töchtern in H. lebe und als Trockenbauer tätig sei.
Der Senat hat am 8. Februar 2012 einen Haftbefehl gegen den Verfolgten erlassen, dessen Vollzug er jedoch mit Beschluss vom 1. März 2012 gemäß § 25 Abs. 1 IRG gegen Weisungen ausgesetzt hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 29. Februar 2012 erklärt, dass sie nicht beabsichtige, Bewilligungshindernisse geltend zu machen. Gegen diese Entschließung hat der Beistand des Verfolgten mit Schriftsatz vom 8. März 2012 Einwendungen erhoben. Er macht geltend, dass die Auslieferung gemäß § 73 IRG unzulässig sei, weil der Widerruf der Strafaussetzung in Abwesenheit des Verfolgten ergangen sei. Außerdem habe der Verfolgte ein schutzwürdiges Interesse an einer Vollstreckung der Strafe in Deutschland.
Die Generalstaatsanwaltschaft Celle beantragt nunmehr, die Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären und den Haftbefehl des Senats wieder in Vollzug zu setzen.
II. Den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft war zu entsprechen.
1. Die Auslieferung ist zulässig.
a) Der von den polnischen Behörden übermittelte Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts in P. vom 5. Dezember 2011 (Az.: III Kop 230/11) liegt in polnischer Sprache und in deutscher Übersetzung vor und genügt den Anforderungen des § 83a IRG.
b) Die Auslieferungsfähigkeit der Straftaten ist gegeben. Die dem Urteil des Amtsgerichts P. vom 23. November 2005 (Aktenzeichen V K 848/05) zugrunde liegenden Taten stellen nach polnischem Recht jeweils einen Betrug dar und sind damit Katalogtaten nach Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni ...