Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslieferung nach Polen wegen auf Absprache beruhendem Urteil
Leitsatz (amtlich)
Beruht die dem Auslieferungsbegehren zugrundeliegende Verurteilung auf einer Absprache zwischen dem Verfolgten und der polnischen Staatsanwaltschaft nach Art. 335 der polnischen StPO, stellt die Abwesenheit des Verfolgten im Termin zur Urteilsverkündung kein Auslieferungshindernis im Sinne des § 83 Nr. 3 IRG dar.
Normenkette
IRG § 83 Nr. 3
Tenor
Die Auslieferung des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden zur Strafvollstreckung wegen der in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts S. vom 4. Oktober 2012 (Az.: III Kop 150/12) bezeichneten Freiheitsstrafen ist zulässig.
Die Auslieferungshaft dauert fort.
Gründe
I. Die polnischen Justizbehörden betreiben auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts S. vom 4. Oktober 2012 (Az.: III Kop 150/12) die Auslieferung des Verfolgten zum Zweck der Strafvollstreckung. Danach ist der Verfolgte
a. durch Urteil des Amtsgerichts S.-P. vom 12. Juni 2009 (Az.: VI K 797/09) wegen einer aus dem Bereich des Rowdytums eingestuften Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden, von der noch neun Monate und 29 Tage zu verbüßen sind. Er hatte am 26. November 2008 in S. ohne Grund, gemeinsam und in Absprache mit K. S. handelnd, Eigentum in einem Stadtbus mit dem amtlichen Kennzeichen xxx beschädigt, indem er die Heckscheibe, die Windschutzscheibe, das Geländer der zweiten Tür, einen Eintauchstab und die Öleinlaufkappe im Ventilatorgetriebe zerstörte, wodurch er insgesamt einen Schaden von 5000 PLN zum Nachteil des Unternehmens S.-P. P. K. Sp. z o.o. in P. verursachte,
b. durch Urteil des Amtsgerichts S.-P. vom 21. Januar 2010 (Az.: VI K 627/09) wegen einer aus dem Bereich des Rowdytums eingestuften Körperverletzung sowie wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, von denen noch elf Monate und 29 Tage zu verbüßen sind. Er hatte am 30. Oktober 2008 in S. in einem Bus der Linie 63 und an einer Bushaltestelle in der Straße S.-K. ohne Grund gemeinsam und in Absprache mit L. W. und D. M. handelnd, den P. U. misshandelt, indem er diesen trat und mit den Händen auf dessen gesamten Körper einschlug, wodurch er die Person einer unmittelbaren Todesgefahr aussetzte und drohte am selben Tag in S. dem P. U. den Tod und Körperverletzung an, wobei die Drohungen bei der Person die berechtigte Furcht, dass sie wahr gemacht werden könnten, auslöste.
Beide Urteile sind gem. Art. 335 der polnischen StPO im Wege der Urteilsabsprache ergangen. Eine mündliche Verhandlung ist nicht erfolgt. Beim Termin zur Verkündung der Urteile ist der Verfolgte nicht anwesend gewesen. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen war zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden. Durch Beschlüsse vom 8. September 2010 bzw. vom 16. März 2011 ist die Vollstreckung der Freiheitsstrafen angeordnet worden.
Der Verfolgte ist am 15. November 2012 in B. vorläufig festgenommen worden. In seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Tostedt am selben Tag hat der Verfolgte sich nicht mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt und vorgetragen, dass er nur in Abwesenheit verurteilt worden sei. In Deutschland lebe er seit etwa 2010. Seine sozialen Kontakte beschränken sich auf seine Cousine, bei der er auch wohnhaft sei. Der Senat hat am 21. November 2012 gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft angeordnet. Gegen ihn besteht in anderer Sache ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl des Amtsgerichts Hannover vom 19. April 2012 wegen versuchten Totschlags. Bis zu seiner Festnahme in hiesiger Sache befand sich der Verfolgte erst seit zwei Wochen wieder auf freiem Fuß.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat als zuständige Bewilligungsbehörde mit Entschließung vom 23. November 2012 erklärt, dass sie nicht beabsichtige, Bewilligungshindernisse geltend zu machen. Diese Entschließung ist dem Verfolgten in polnischer Übersetzung am 26. November 2012 mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche zugestellt worden. Weder der Verfolgte noch sein Beistand haben sich dazu geäußert.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Auslieferung zur Strafvollstreckung für zulässig zu erklären und Haftfortdauer zu beschließen.
II. Den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft war zu entsprechen.
1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen ist zulässig.
a) Der von den polnischen Behörden übermittelte Europäische Haftbefehl liegt in deutscher Übersetzung vor und genügt den Anforderungen des § 83a Abs. 1 IRG.
b) Die Auslieferungsfähigkeit der dem Ersuchen zugrundeliegenden Straftaten ist gegeben. Sachbeschädigung, Körperverletzung und Bedrohung sind sowohl nach polnischem Recht (Art. 288 § 1, Art. 158 § 1 und Art. 190 § 1 des polnischen StGB) als auch nach deutschem Recht (§§ 303, 223, 241 StGB) unter Strafe gestellt. Zu vollstrecken sind zwei Freiheitsstrafen, die jeweils das Mindestmaß von vier Monaten übersteigen (§ 81 Nr. 2 IRG). Vollstreckungsverjährun...