Leitsatz (amtlich)

1. Voraussetzung für die Zulassung der Nebenklage ist weder ein dringender noch ein hinreichender Tatverdacht für das Vorliegen eines Nebenklagedelikts. Ausreichend ist eine auch nur wenig erfolgversprechende Aussicht dafür, dass der Angeklagte nach der Sachlage oder aufgrund des Vorbringens des Antragstellers wegen einer Nebenklagestraftat verurteilt wird. Dies ist unabhängig davon zu beurteilen, ob die Anklage die vorgeworfene Tat rechtlich als Nebenklagestraftat bewertet hat oder im Eröffnungsbeschluss die Voraussetzungen der Zulassung der Nebenklage bejaht wurden.

2. Der Widerruf der Zulassung der Nebenklage kann in jeder Lage des Verfahrens erfolgen, wenn ihr von vornherein die rechtliche Grundlage gefehlt hat. Er scheidet aus, wenn sich in der Hauptverhandlung im Verlauf der Beweisaufnahme ergibt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des Nebenklagedelikts nicht nachweisbar sind oder sich die tatsächlichen Behauptungen des Nebenklägers als unrichtig erweisen.

3. Diese Grundsätze gelten für die Zulassung der Nebenklage im Strafverfahren gegen Jugendliche nach § 80 Abs. 3 Satz 1 JGG entsprechend.

 

Normenkette

JGG § 80 Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Entscheidung vom 30.11.2016; Aktenzeichen 3 KLs 7/16)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen. Er hat jedoch die dem Nebenkläger im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

 

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Verden (Az. 452 Js 20096/16) wirft dem Angeklagten mit der am 01.09.2016 vor dem Landgericht Verden gegen ihn erhobenen Anklage vor, als Heranwachsender am 14.05.2016 in V. nach einer am Tag zuvor stattgefundenen verbalen Auseinandersetzung zwischen kurdischen und afghanischen Flüchtlingen eine Gruppe von 15-20 Personen dazu aufgefordert zu haben, sich mit Messern und ähnlichem zu bewaffnen, um die Flüchtlingsunterkunft in der Turnhalle der BBS aufzusuchen und erhebliche Gewalt gegen die dort lebenden afghanischen Flüchtlinge auszuüben, wobei er angekündigt haben soll, dass Lager niederbrennen und das Camp vernichten zu wollen. Nach dem gemeinsamen Erstürmen der Einrichtung soll der Angeklagte als Rädelsführer an der Spitze der Gruppe kurdisch stämmiger Flüchtlinge in den Speisessaal eingedrungen sein, seine Begleiter weiter aufgewiegelt, sodann einen 16-jährigen afghanischen Flüchtling zunächst geohrfeigt, anschließend mit einer sog. Bierzeltgarnitur zweimal mit Schwung auf den Kopf geschlagen und dabei seinen Tod zumindest billigend in Kauf genommen haben. Durch dieses gewalttätige Vorgehen soll er seine Begleiter zusätzlich aufgewiegelt und gleichartige Gewaltausschreitungen gegen andere Bewohner sowie den Tod von Menschen gezielt in Kauf genommen haben. Er soll sodann dem aus Angst fliehenden 14-jährigen Nebenkläger, ebenfalls ein afghanischer Flüchtling, nachgesetzt und einen hölzernen Gegenstand gegen dessen Kopf geworfen haben, wodurch der Nebenkläger zu Boden gestürzt sein soll. Anschließend sollen Begleiter des Angeklagten den Nebenkläger gemeinsam geschlagen und auf ihn eingetreten haben, um ihm tödliche Verletzungen beizubringen.

Die Staatsanwaltschaft hat das Verhalten des Angeklagten in der Anklage als Landfriedensbruch im besonders schweren Fall nach §§ 125 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 125a Nr. 2, 2. Alter., Nr. 3 StGB, tateinheitlich begangen mit versuchtem Mord nach §§ 211 Abs. 1, 5. Var., 22, 23 StGB zum Nachteil des zuerst angegriffenen Opfers und gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zum Nachteil des Nebenklägers gewertet.

Die 3. große Jugendstrafkammer des Landgerichts Verden hat die Anklage mit Beschluss vom 18.10.2016 zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

Mit weiterem Beschluss vom 23.11.2016 hat die Kammer dem Zulassungsantrag des Nebenklägers stattgegeben.

Nach Beginn der Hauptverhandlung hat sich durch ein von der Kammer eingeholtes Sachverständigengutachten ergeben, dass der Angeklagte zur Tatzeit das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Daraufhin hat die Kammer mit Beschluss vom 30.11.2016 die Zulassung des Nebenklägers widerrufen. Dies hat sie damit begründet, dass die im Strafverfahren gegen einen Jugendlichen für die Nebenklagebefugnis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 JGG erforderlichen Voraussetzungen vorliegend nicht gegeben seien, da gegen den Angeklagten wegen des Übergriffs auf den Nebenkläger kein Verbrechensvorwurf erhoben worden sei.

Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner Beschwerde, der die Kammer nicht abgeholfen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, da bei Anklageerhebung und zum Zeitpunkt der Zulassung der Nebenklage nach dem Tatgeschehen, wie es in der Anklage dargestellt sei, die Möglichkeit der Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsverbrechens zum Nachteil des Nebenklägers bestanden habe und damit die Voraussetzungen für die Nebenklagebefugnis nach § 80 Abs. 3 Sa...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?