Leitsatz (amtlich)

Staatliche Sozialleistungen zur Deckung des Lebensunterhalts, denen keine Lohnersatzfunktion zukommt, haben für die Berechnung des Verfahrenswertes in Ehesachen außer Betracht zu bleiben.

 

Normenkette

FamFG § 43 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Stadthagen (Beschluss vom 24.06.2011; Aktenzeichen 61 F 78/10)

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

II. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

III. Der Beschwerdewert wird auf 194 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Das AG - Familiengericht - Stadthagen hat die Ehe der Beteiligten geschieden und den Verfahrenswert im angefochtenen Beschluss vom 24.6.2011 für die Ehescheidung auf 2.700 EUR, für das Sorgerecht auf 540 EUR und den Versorgungsausgleich auf 1.000 EUR festgesetzt. Dabei hat es berücksichtigt, dass der Ehemann über ein Nettoeinkommen i.H.v. 900 EUR und die Ehefrau über kein Erwerbseinkommen verfügt.

Hiergegen wendet sich die Verfahrensbevollmächtigte der Ehefrau. Sie meint, die von der Ehefrau bezogenen Leistungen nach dem SGB II i.H.v. insgesamt 451, 75 EUR seien bei der Bemessung des Verfahrenswertes zu berücksichtigen.

II. Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Ehefrau ist gem. § 59 Abs. 1 S. 2 und 3 FamGKG zulässig, da sie innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt und durch das AG - Familiengericht - Stadthagen zugelassen worden ist.

Die Beschwerdeberechtigung der Beschwerdeführerin ergibt sich aus § 32 RVG.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Das AG hat die von der Ehefrau bezogenen Leistungen nach dem SGB II zu Recht nicht als Nettoeinkommen i.S.d. § 43 Abs. 2 FamGKG berücksichtigt.

Gemäß § 43 Abs. 1 FamGKG ist der Verfahrenswert in Ehesachen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift ist für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten einzusetzen.

Als Nettoeinkommen im Sinne dieser Vorschrift ist vorliegend allein das Erwerbseinkommen des Antragsgegners anzusehen. Dagegen stellen die nach dem SGB II bezogenen Leistungen an die Antragstellerin kein im Rahmen von § 43 Abs. 2 FamGKG berücksichtigungsfähiges Einkommen dar.

Die Frage, ob durch die Ehegatten bezogene Leistungen nach dem SGB II als Nettoeinkommen i.S.d. § 43 Abs. 2 FamFG berücksichtigt werden müssen (so etwa der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des OLG Celle im Beschl. v. 1.9.2010 - NJW 2010, 3587; OLG Brandenburg FamRB 2011, 217; zit. nach juris) oder als staatliche Transferleistungen unberücksichtigt bleiben muss (10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des OLG Celle FamRZ 2006, 1690; zuletzt Beschl. v. 8.6.2011 - 10 WF 39/11; OLG Schleswig FamRZ 2010, 1939; OLG Stuttgart Beschluss vom 23.3.2011, zit. nach juris; OLG Hamm NJW 2011, 1235) ist weiterhin umstritten. Der Senat folgt der Ansicht, dass staatliche Sozialleistungen zur Deckung des Lebensunterhalts, denen keine Lohnersatzfunktion zukommt, für die Berechnung des Verfahrenswertes außer Betracht zu bleiben haben.

Für diese Ansicht sprechen der Wortlaut und der Sinn des Gesetzes, der mit dem Zusatz "Netto"-einkommen ersichtlich an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Ehegatten anknüpft. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Ehegatten wird durch das Erwerbseinkommen, nicht aber durch staatliche Transferleistungen ohne Lohnersatzfunktion bestimmt. Denn diese sichern lediglich den Grundbedarf und orientieren sich nicht an der Höhe des zuvor erworbenen Lebensstandards.

Sozialleistungen zur Grundsicherung, wie hier die Leistungen nach dem SGB II, sind somit nicht Ausdruck bestehender Leistungsfähigkeit, sondern - da sie sich allein nach der Bedürftigkeit des Empfängers richten und lediglich das Existenzminimum absichern - eher Ausdruck der fehlenden Leistungsfähigkeit. Es wäre daher systemfremd, diese bei der Verfahrenswertbestimmung heranzuziehen (a.A. Klüsener in Prütting/Helms § 43 FamGKG Rz. 12).

Gegen deren Berücksichtigung spricht zudem, dass ansonsten die gesetzliche Regelung des § 43 Abs. 1 S. 2 FamGKG, wonach der Wert nicht unter 2.000 EUR angenommen werden darf, ins Leere liefe, da unter Einschluss der binnen drei Monaten gewährten Sozialleistungen diese Grenze nahezu stets überschritten würde (OLG Hamm NJW 2011, 1235; OLG Stuttgart FamRB 2011, 217, zit. nach juris). Soweit die Gegenansicht meint, dieser gesetzliche Mindestwert könne nicht als Argument herangezogen werden, weil dieser seit über 30 Jahren nicht mehr an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst worden sei (OLG Brandenburg FamRB 2011, 217; zit. nach juris), so ist dem entgegen zu halten, dass dieser Wert mit ausdrücklicher Billigung des Gesetzgebers auch nach der Einführung des FamFG fortgeführt und durch das BVerfG ebenfalls bestätigt worden ist (BVerfG NJW 2009, 1197; FamRZ 2010, 25).

Soweit die Gegenansi...

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