Leitsatz (amtlich)
Steht der Angeklagte wegen Haftverbüßung in anderer Sache für die Durchführung einer Hauptverhandlung über einen längeren Zeitraum (mehrere Monate) ohnehin sicher zur Verfügung, gebietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Aufhebung auch des nicht vollzogenen Sicherungshaftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO.
Tenor
Der angefochtene Beschluss und der Haftbefehl des Amtsgerichts L. vom 22. September 2008, 4a Ds 115 Js 25600/07, werden aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.
Gründe
I.
Mit zugelassener Anklage vom 1. November 2007 wirft die Staatsanwaltschaft dem mehrfach einschlägig vorbestraften Angeklagten vor, am 6. Juli 2007 in K. wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs.1 Aufenthaltsgesetz zuwider gehandelt zu haben. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2008 sind zwei weitere Verfahren wegen gleichartiger Vorwürfe dieser Sache hinzuverbunden worden.
Das Amtsgericht L. erließ am 22. September 2008 Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO gegen den ordnungsgemäß geladenen, in der Hauptverhandlung aber nicht erschienenen Angeklagten. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die 13. große Strafkammer des Landgerichts S. die dagegen gerichtete Beschwerde des Angeklagten, der sich seit dem 1. Dezember 2008 zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe von vier Monaten aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts L. vom 19. Juli 2007, 115 Js 16039/06 StA S., in Strafhaft befindet, als unbegründet verworfen.
II.
Die weitere Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Haftbefehls vom 22. September 2008.
1. Die Zulässigkeit der weiteren Beschwerde ergibt sich aus § 310 Abs. 1 StPO. Auch Haftbefehle nach § 230 Abs. 2 StPO sind "Verhaftungen" im Sinne der Vorschrift (Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 310 Rdn. 5), und zwar unabhängig davon, ob der Haftbefehl vollzogen worden ist oder wie hier lediglich Überhaft notiert ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. April 2004, 2 Ws 88/04; OLG Zweibrücken StV 1992, 101).
2. Allerdings lagen und liegen die formalen Voraussetzungen des § 230 Abs. 2 StPO vor. Der Angeklagte ist trotz ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung über die Folgen seines Ausbleibens in englischer Sprache unentschuldigt dem Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht L. am 22. September 2008 ferngeblieben. Soweit der Angeklagte vorträgt, die Terminsladung nicht erhalten zu haben, fehlt es an der gemäß § 51 Abs.2 S.2 StPO entsprechend gebotenen Glaubhaftmachung, wie schon die Kammer in ihrer Nichtabhilfeentscheidung zutreffend ausgeführt hat.
3. Der Haftbefehl war dennoch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aufzuheben. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (insb. BVerfG StraFo 2007, 22 f. = wistra 2007, 62 ff. = NJW 2007, 2318 ff.) gilt der Grundsatz, dass der Eingriff in die persönliche Freiheit durch Haft vor rechtskräftiger Verurteilung nur hingenommen werden kann, wenn der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden kann, auch für den Haftbefehl nach § 230 Abs.2 StPO und erlangt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Bedeutung. Jedenfalls seit der Inhaftierung des Angeklagten in anderer Sache am 1. Dezember 2008, von der das Amtsgericht auch zeitnah am 8. Dezember 2008 Kenntnis erlangt hat, bedurfte es aber einer Sicherungshaft im Sinne des § 230 Abs.2 StPO nicht mehr, weil der Angeklagte infolge seiner Inhaftierung jedenfalls bis zum dortigen Zweidritteltermin am 18. Februar 2009, möglicherweise gar bis zu Strafende am 31. März 2009 ohne weiteres für die Durchführung der Hauptverhandlung zur Verfügung steht. Bei dieser Sachlage ist das Amtsgericht jedenfalls bei sachlich und rechtlich einfachen Sachverhalten wie hier gehalten, so zügig zu terminieren, dass die Hauptverhandlung noch während der Vollstreckung der Haftstrafe durchgeführt werden kann, um zusätzlichen Freiheitsentzug des Angeklagten zu vermeiden. Deshalb war der Haftbefehl vorliegend aufzuheben. Denn seine Vollstreckung nach Beendigung der Strafvollstreckung in anderer Sache käme nicht mehr in Betracht, nachdem die Teilnahme des Angeklagten an einer Hauptverhandlung jedenfalls für einen Zeitraum von etwa zweieinhalb Monaten gesichert war (im Ergebnis ebenso LG Berlin StV 1994, 422).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs.1 StPO entsprechend.
Fundstellen
Haufe-Index 2570814 |
NStZ-RR 2009, 157 |
StraFo 2009, 151 |