Leitsatz (amtlich)
1. Das im Europäischen Haftbefehl enthaltene Auslieferungsersuchen und das Ersuchen um Festnahme sind nicht anfechtbar, insbesondere nicht nach §§ 23 ff EGGVG.
2. Fahndungsmaßnahmen nach § 131 StPO sind nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog vor dem Amtsgericht anfechtbar.
Normenkette
EGGVG §§ 23 ff; StPO § 98 Abs. 2 S. 2, § 131
Verfahrensgang
Tenor
1. Das Oberlandesgericht Celle ist unzuständig.
2. Die Sache wird an das Amtsgericht Hannover verwiesen.
Gründe
I.
Mit seinem Antrag vom 12. Januar 2009 wendet sich der Beschuldigte R. gegen den von der Staatsanwaltschaft Hannover am 4. März 2008 verfügten Erlass eines Europäischen Haftbefehls. Er behauptet eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 104 Abs. 2, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 19 Abs. 4 GG und begründet dies damit, dass er durch die mit dem Europäischen Haftbefehl verbundene Ausschreibung im SIS in Haft komme, wenn er im Ausland in eine Kontrolle gerate und der Datenabgleich im SIS positiv ausfalle. Der Antragsteller meint, dass diese Maßnahme, wenn sie denn überhaupt anfechtbar sei, in die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes nach § 25 EGGVG falle. Er legt daher Beschwerde "bzw. das zulässige Rechtsmittel" gegen den Erlass des Europäischen Haftbefehles ein.
Die Generalstaatsanwaltschaft hält den Antrag für unzulässig, aber auch für unbegründet.
II.
Der Erlass des Europäischen Haftbefehls ist im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG nicht überprüfbar. Die Sache war, soweit der Europäische Haftbefehl eine Ausschreibung zur Festnahme im Schengener Informationssystem SIS enthält, an das dafür zuständige Amtsgericht Hannover zu verweisen.
1. Ein Europäischer Haftbefehl ist ein auf nationaler Haftgrundlage beruhendes Fahndungsinstrument (vgl. dazu Böhm, NJW 2006, 2593). Er steht einem Auslieferungsersuchen gleich (vgl. dazu OLG Stuttgart, NJW 2004, 3437; Böhm, a. a. O., S. 2593) und ist daneben mit einer Ausschreibung des Gesuchten im SIS verbunden, sofern nicht die Ausschreibung zur Festnahme zwecks Auslieferung nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen gleich als Europäischer Haftbefehl gemäß § 83 a Abs. 2 IRG gilt.
Das im Europäischen Haftbefehl enthaltene Auslieferungsersuchen und das Ersuchen um Festnahme sind nicht anfechtbar, auch nicht nach §§ 23 ff. EGGVG. Ersuchen um Auslieferung bzw. Ersuchen um Festnahme bewirken als solche weder unmittelbar noch mittelbar einen der Bundesrepublik Deutschland zurechenbaren Eingriff in die Freiheit des Gesuchten (BVerfG, NJW 1981, 1154; OLG München, NJW 1975, 509; Karlsruher Kommentar - Schoreit, 6. Aufl., § 23 EGGVG Rdnr. 6; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 23 EGGVG Rdnr. 4). Da ein solches Auslieferungsersuchen mithin keine unmittelbaren Rechtswirkungen für den Betroffenen enthält, ist ein Antrag auch im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG unzulässig.
2. Anders verhält es sich jedoch, soweit der Betroffene sich gegen die Ausschreibung zur Festnahme im SIS wendet. Die Ausschreibung zur Festnahme im SIS findet ihre Rechtsgrundlage in § 131 StPO. Ebenso wie die nationale Fahndung kann auch die internationale Fahndung auf § 131 StPO gestützt werden, da der Europäische Haftbefehl nach dem Europäischen Haftbefehlsgesetz vom 20. Juli 2006 eine "Ausschreibung zur Festnahme" darstellt. Ausschreibungen zur Festnahme finden ihre Ermächtigungsgrundlage in § 131 StPO. Dass diese Ermächtigung auf die nationale Fahndung beschränkt wäre, ergibt sich weder aus § 131 StPO selbst noch aus dem Europäischen Haftbefehlsgesetz, das allerdings vordringlich die Vollstreckung ausländischer Europäischer Haftbefehle in Deutschland regelt.
Fahndungsmaßnahmen nach § 131 StPO sind nach allgemeiner Meinung analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO vor dem Amtsgericht anfechtbar (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 131 Rdnr. 7; Karlsruher Kommentar/Schultheis, § 131 Rdnr. 20, Löwe-Rosenberg/Hilger, 26. Aufl., § 131 Rdnr. 30; KMR-Wankel, § 131 Rdnr. 9; OLG Brandenburg, NStZ 2007, 54 für Maßnahmen nach § 131 a StPO). Bei dem vom Antragsteller verfolgten "zulässigen Rechtsmittel" gegen die Ausschreibung zur Festnahme im SIS handelt es sich demgemäß um einen Antrag nach § 98 Abs. 2 StPO auf Überprüfung der Ausschreibung gemäß § 131 StPO.
3. Die Sache war deshalb in entsprechender Anwendung von § 17 a Abs. 2 GVG an das für diese Entscheidung zuständige Amtsgericht Hannover zu verweisen. Die Verweisung beruht auf § 17 a GVG. Diese Vorschrift kann für Verweisungen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. schon Beschluss des Senats vom 24. September 2007, 2 VAs 13/07) entsprechend herangezogen werden (dazu auch Karlsruher Kommentar/Schoreit, StPO, 6. Aufl., § 28 EGGVG Rdnr. 25; Meyer-Goßner, § 25 Rdnr. 2; BGH, Beschluss vom 23. März 2005, 2 ARs 16/05).
Fundstellen
Haufe-Index 2570816 |
NStZ 2010, 534 |
OLGSt 2010 |
StV 2010, 63 |