Leitsatz (amtlich)
Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist für eine Berufung gegen eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung erforderlich, wenn es sich um eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation handelt und zur Aufdeckung von Widersprüchen in den Angaben des Zeugen, Kenntnis vom gesamten Akteninhalt erforderlich ist.
Verfahrensgang
LG Hannover (Entscheidung vom 03.09.2008; Aktenzeichen 60c 146/08) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Hannover vom 3. September 2008 wird aufgehoben.
Rechtsanwalt Dr. Hüttl, Hannover, wird dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dadurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe
1.
Der den Tatvorwurf bestreitende Angeklagte wurde am 29. Juli 2008 vom Amtsgericht Hannover wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 18 EUR verurteilt. Gegen dieses Urteil hat er durch Rechtsanwalt Dr. Hüttl Berufung eingelegt und dessen Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt. Die Vorsitzende der 15. kleinen Strafkammer hat dies mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt, weil die Voraussetzungen nach § 140 Abs. 2 StPO nicht vorlägen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde. Er hält wegen der besonderen Verfahrenskonstellation - Aussage gegen Aussage - unter Hinweis auf Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamm, Koblenz und Karlsruhe das Verfahren für rechtlich schwierig, so dass eine Beiordnung erforderlich sei.
2.
Die zulässige Beschwerde ist begründet und führt zur beantragten Beiordnung.
Allerdings geht der Senat nicht davon aus, dass jede Aussage-gegen-Aussage-Konstellation eine Beiordnung erfordert. Dies kommt namentlich dann nicht in Betracht, wenn zu der Aussage des einzigen Belastungszeugen weiter belastende Indizien hinzukommen, so dass von einer schwierigen Beweiswürdigung nicht mehr gesprochen werden kann. Anders zu beurteilen sind jedoch die Fälle, in denen aus weiteren Indizien nicht hinreichend sicher auf die Richtigkeit der Angaben des einzigen Belastungszeugen geschlossen werden kann. So liegt der Fall hier.
Sowohl die Angaben des Hausverwalters aufgrund der Videoüberwachung im Eros Corner als auch die ärztlich belegte Verletzung des Geschädigten besagen für sich genommen wenig zur Frage der Täterschaft des Angeklagten, weil im ersten Fall der Angeklagte offenbar nicht erkannt worden ist und im Übrigen auch die Verletzungen anderweitig zugezogen worden sein können.
Es bleibt also allein die Aussage des Geschädigten, der nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteil seit längerer Zeit Streitigkeiten mit dem Angeklagten hat. Dazu stehen die Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung, dass sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der Geschädigte den Angeklagten zu Unrecht belastet haben könnte, erkennbar in Widerspruch.
In derartigen Fällen kann eine sachgemäße Verteidigung nur durch Kenntnis vom gesamten Akteninhalt gewährleistet werden, der wiederum nur dem Verteidiger zugänglich ist. Nur so ist gewährleistet, dass auch evtl. Widersprüche in den Angaben der Zeugen in die Hauptverhandlung eingebracht werden, so dass der Verteidiger dadurch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen beitragen kann.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO analog.
Fundstellen
Haufe-Index 2570822 |
NStZ 2009, 175 |
ZAP 2009, 847 |
StRR 2009, 2 |
StV 2009, 8 |