Leitsatz (amtlich)
1. Das Verhängen von Ordnungsmitteln nach § 178 GVG kann auch auf Umstände gestützt werden, die sich zwar nicht aus dem Ordnungsmittelbeschluss ergeben, die dem Betreffenden dem Protokoll der Hauptverhandlung zufolge aber bekannt sind.
2. Dem Oberlandesgericht obliegt als Beschwerdegericht nach § 181 Abs. 3 GVG eine eigene Prüfung auch im Hinblick auf Art und Maß des Ordnungsmittels.
Normenkette
GVG §§ 178, 181
Verfahrensgang
AG Hannover (Entscheidung vom 09.12.2011; Aktenzeichen 325 Cs 71/09) |
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Gründe
I. Der Angeklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Amtsgerichts, mit welchem gegen ihn eine Ordnungshaft von 5 Tagen festgesetzt wurde, nachdem er sich trotz wiederholter Aufforderung geweigert hatte, sich zur Urteilsverkündung zu erheben. Ausweislich der Gründe der angefochtenen Entscheidung war gegen den Angeklagten zuvor in einem Parallelverfahren [ebenfalls wegen Hausfriedensbruchs auf einem zukünftigen Baugelände für Laborgebäude der Pharmaindustrie (Ergänzung durch den Senat)] als Zuhörer aus demselben Grunde bereits ein Ordnungsgeld verhängt worden. Die Ordnungshaft wurde im Anschluss an die Hauptverhandlung vollstreckt. der Angeklagte wurde am 14. Dezember 2011 aus der Haft entlassen.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig.
1. Die Beschwerde ist zunächst in der nach § 181 Abs. 1 GVG vorgesehenen Wochenfrist bei dem insoweit zuständigen Amtsgericht Hannover eingegangen.
2. Der Zulässigkeit des Rechtsmittels steht nicht entgegen, dass vor Eingang der Akten beim Senat und somit vor einer Entscheidung über die Beschwerde der Angeklagte nach vollständiger Vollstreckung aus der Haft bereits entlassen wurde, denn die Vollstreckung macht die Beschwerde nicht gegenstandslos (LRWickern, StPO, 26. Aufl., § 181 Rn. 4. KKDiemer, Strafprozessordnung, 6. Aufl., § 181 GVG Rn. 4. MeyerGoßner, Strafprozessordnung, 54. Aufl., § 181 GVG Rn. 3). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass im Falle einer nachträglichen Aufhebung des Ordnungshaftbeschlusses weder § 51 StGB noch § 2 StrEG zur Anwendung gelangen und insofern ein Interesse an der Feststellung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme nicht verneint werden kann. Der Angeklagte hat überdies beantragt, die Rechtswidrigkeit des Ordnungshaftbeschlusses festzustellen, so dass sein Rechtsmittel trotz zwischenzeitlich eingetretener Erledigung mit dem Feststellungsbegehren zulässig bleibt.
III. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. In der Sache ist das Festsetzen der Ordnungshaft nicht zu beanstanden.
a) Das Verfahren betreffend die Anordnung der Ordnungshaft wegen Ungebühr nach Maßgabe von § 178 GVG ist frei von Rechtsfehlern. Der Vorsitzende hat insbesondere vor Verhängen des Ordnungsmittels eine entsprechende Maßnahme ausdrücklich (und zwar konkret Ordnungshaft in Höhe von 5 Tagen, falls der Angeklagte sich weiterhin zur Urteilsverkündung nicht erhebt) angedroht und hat dem Angeklagten hierzu Gelegenheit entweder zum Überdenken seines Verhaltens oder zur Stellungnahme gegeben. der Angeklagte hat sich hiernach geäußert. Eine vom Angeklagten im Rahmen seiner Beschwerde behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt demnach nicht vor. Dessen ungeachtet stand der Ungebührwille des Angeklagten außer Frage, so dass eine vorherige Anhörung ohnedies entbehrlich war (vgl. hierzu LRWickern, StPO, 26. Aufl., § 178 GVG Rn. 36). Der Beschluss ist schließlich in der Hauptverhandlung erlassen und auch begründet worden.
b) Das Amtsgericht ist zu Recht von einer Ungebühr in der Sitzung ausgegangen. Eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichsfrieden und damit auf die Würde des Gerichts (vgl. nur MeyerGoßner, § 178 GVG Rn. 1 ff m.w.N.). Zu einem geordneten Ablauf in diesem Sinne gehört auch das Beachten eines Mindestmaßes von äußeren Formen (OLG Hamm NJW 1975, 942) und eine von Emotionen möglichst freie Verhandlungsführung. Die Ordnungsmittel nach § 178 GVG können insbesondere als Antwort auf grobe Verletzungen oder bewusste Provokationen eingesetzt werden (KKDiemer, Strafprozessordnung, 6. Aufl., § 178 GVG Rn. 1). Zwar ist das Erheben sämtlicher in der Hauptverhandlung anwesender Personen bei Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung und zur Urteilsverkündung nicht gesetzlich vorgeschrieben. Nr. 124 Abs. 2 RiStBV enthält insoweit vielmehr nur eine Beschreibung der üblichen Form in der Hauptverhandlung. Deren Nichtbeachtung stellt aber gleichwohl eine Ungebühr in der Hauptverhandlung im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG dar (LRWickern Rn. 5 und 15 m.w.N. zur Rechtsprechung). Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn der Betreffende - wie vorliegend - zuvor entsprechend ermahnt worden war (KKDiemer aaO.). Dass der Angeklagte hierbei schuldhaft handelte, steht außer Frage. Das behauptete Wahrnehmen politischer Interessen im Sinne von Art. 5 GG steht der Annahme sc...