Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist

 

Leitsatz (redaktionell)

Ob ein Verschulden der Partei oder ein ihr zuzurechnendes Anwaltsverschulden (§ 85 Abs. 2 ZPO) bei der Versäumung einer Notfrist vorliegt, ist anhand des allgemeinen Verschuldensbegriffs des § 276 BGB zu beurteilen.

Hinsichtlich der Verantwortlichkeit anwaltlichen Handelns, das über § 85 Abs. 2 ZPO der Partei zuzurechnen ist, gilt die für den Anwalt übliche Sorgfaltspflicht, die standesbedingt strenger ist als die gewöhnliche.

 

Normenkette

BGB § 276; ZPO §§ 233, 85 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Lüneburg (Beschluss vom 03.04.2006; Aktenzeichen 37 F 235/03)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 02.04.2008; Aktenzeichen XII ZB 131/06)

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gegen das Urteil des AG - FamG - Lüneburg vom 3.4.2006 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Die Versäumung der Berufungsfrist (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 18.5.2006, Bl. 458 ff.) ist nicht unverschuldet; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann daher nicht gewährt werden (§ 233 ZPO).

Die Beantwortung der Frage, ob ein Verschulden der Partei oder ein ihr zuzurechnendes Anwaltsverschulden (§ 85 Abs. 2 ZPO) bei der Versäumung einer Notfrist vorliegt, ist anhand des allgemeinen Verschuldensbegriffes des § 276 BGB vorzunehmen. Hinsichtlich der Verantwortlichkeit anwaltlichen, über § 85 Abs. 2 ZPO der Partei zuzurechnenden Handelns gilt deshalb die für einen Anwalt übliche Sorgfaltspflicht, die standesbedingt strenger ist als die gewöhnliche (so BGH seit NJW 1985, 1710). Der Rechtsanwalt hat dabei, wenn er Tätigkeiten an sein Personal delegiert, durch allgemeine Anweisungen für den Bürobetrieb hinreichend sicherzustellen, dass Fristen eingehalten und fristwahrende Maßnahmen sorgfältig bearbeitet und überwacht werden. Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax gehört dazu neben der Anweisung, das Sendeprotokoll zu prüfen, bei der Übermittlung von mehrseitigen Unterlagen ("Stapelzuführung") zunächst die visuelle Kontrolle des Stapeleinzugs (OLG Karlsruhe FamRZ 1998, 434) sowie die Überprüfung der Zahl der übermittelten Seiten (BGH NJW 1996, 2513; OLG Frankfurt MDR 2000, 1344). Insbesondere der letztgenannte Vorgang ist in der im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft gemachten Büroanweisung nicht enthalten. Auch die eidesstattliche Versicherung der Angestellten des Rechtsanwaltes enthält keinen Hinweis auf eine solche Anweisung und insbesondere keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Angestellte die Zahl der laut Sendebericht übermittelten Seiten mit der Zahl der Seiten des Originalschriftsatzes nebst Anlagen überhaupt verglichen hat. Bereits eine oberflächliche Sichtkontrolle hätte nämlich den Mengenunterschied zwischen 12 versandten Faxblättern und insgesamt 38 Seiten des Originals (12 Seiten Schriftsatz, 6 Seiten Urteilskopie, 20 Seiten PKH-Erklärung nebst Anlagen) deutlich gemacht. Erst recht wäre der Übermittlungsfehler nicht geschehen, wenn eine Büroanweisung dahin bestanden hätte, die Zahl der übermittelten Seiten laut Sendebericht mit der Zahl der zu übermittelnden Seiten des Originals zu vergleichen.

Nach alledem beruht die unzureichende Übermittlung des Antrages auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe innerhalb der Berufungsfrist und die durch den Eingang der erforderlichen Anlagen erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingetretene Fristversäumung auf einem der Klägerin zuzurechnenden Verschulden ihres Rechtsanwalts. Der Wiedereinsetzungsantrag ist daher zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2009331

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