Leitsatz (amtlich)

Auch wenn nur die Kosten des zweiten von zwei hintereinander mandatierten Rechtsanwälten zur Festsetzung angemeldet werden, ist zu prüfen, ob es sich um nicht notwendige (vermeidbare) Mehrkosten handelt.

 

Normenkette

ZPO §§ 91, 104

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Beschluss vom 05.05.2023; Aktenzeichen 4 O 334/18)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 16. Mai 2023 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss (I. und II. Instanz) der Rechtspflegerin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 5. Mai 2023 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 500,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die gem. § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet.

Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss ist nicht zu beanstanden.

1. Die Rechtspflegerin hat wegen des erfolgten Anwaltswechsels bei der Kostenfestsetzung zu Recht auf Seiten der Beklagten nur diejenigen Kosten für die Einschaltung eines Rechtsanwalts in erster Instanz berücksichtigt, die sich auf der Grundlage des alten Gebührenrechts ergeben. Die nach neuem Gebührenrecht zu berechnende (höhere) Vergütung des später eingeschalteten zweiten Rechtsanwalts ist nicht zu berücksichtigen.

§ 91 ZPO bringt das Gebot einer sparsamen bzw. ökonomischen Prozessführung zum Ausdruck, welches als Ausprägung des die gesamte Privatrechtsordnung und das Prozessrecht beherrschenden Prinzips von Treu und Glauben (BGH, Beschluss vom 27.01.2011 - Az.: III ZB 97/09, und MDR 2007, 1160) wie auch der Schadensminderungspflicht i. S. von § 254 BGB verstanden wird (vgl. MüKo/Schulz, ZPO, 6. Auflage, § 91 Rn. 48). Der prozessuale Erstattungsanspruch besteht daher nur in den Grenzen einer sparsamen, nicht aber der einer optimalen Prozessführung (vgl. OLG Jena OLG-NL 2006, 207, 208; MüKo/Giebel, a.a.O.). Eine Partei ist daher gehalten, unter mehreren gleichartigen Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen ((BGH, Beschluss vom 14.09.2021, Az.: VIII ZB 85/20, zitiert nach juris Rn. 10; BGH NJW-RR 2005, 725, 727; NJW-RR 2004, 430; FamRZ 2004, 866f., zitiert nach juris, Rn. 27).

Die bei einem sparsamen Vorgehen entstandenen (fiktiven) Kosten bilden daher grundsätzlich die Obergrenze für die erstattungsfähigen Auslagen (Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2007 - Az.: 2 W 107/07 sowie Beschluss vom 27.06.2008 - Az.: 2 W 131/08). Wenn eine Partei gegen die Verpflichtung, die Kosten der Prozessführung niedrig zu halten, verstößt, dann ist ein Festsetzungsverlangen mit der Folge als rechtsmissbräuchlich anzusehen, dass die unter Verstoß gegen Treu und Glauben angemeldeten Kosten abzusetzen sind (BGH, Beschluss vom 20.05.2014, Az.: VI ZB 9/13, zitiert nach juris Rn. 6).

Dabei ist eine typisierende Betrachtungsweise geboten (BGH, Beschluss vom 25.10.2011, Az.: VIII ZB 93/10; BGH, Beschluss vom 28.01.2010, Az.: III ZB 64/09 = JurBüro 2010, 369f.). Denn beim Kostenfestsetzungsverfahren handelt es sich um ein Massenverfahren, das einer zügigen und möglichst unkomplizierten Abwicklung bedarf. Der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn im nahezu jedem Einzelfall darüber gestritten werden kann, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind (BGH NJW 2007, 2048 f. [BGH 25.01.2007 - V ZB 85/06], zitiert nach juris Rn. 7).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Rechtspflegerin jedenfalls im Ergebnis zu Recht die Festsetzung der gesamten Kosten des zweiten Rechtsanwalts abgelehnt.

Auch § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes kostensparender Prozessführung (Gehle, in: Anders/Gehle, ZPO, 81. Auflage, § 91 Rn. 218). Ein Anwaltswechsel ist daher nur dann notwendig, wenn er nicht auf ein Verschulden der Partei oder ein ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Rechtsanwalts (§ 85 Abs. 2 ZPO) zurückzuführen ist (BGH, Beschluss vom 22. August 2012, Az.: XII ZB 183/11, zitiert nach juris Rn. 11; siehe auch Senat, Beschluss vom 25.07.2011, Az.: 2 W 153/11). Allein die objektive Notwendigkeit eines Anwaltswechsels reicht also nicht aus. Hinzukommen muss, dass dieser unvermeidbar gewesen ist (BGH, a.a.O.). Kosten für einen zweiten Rechtsanwalt sind daher nicht erstattungsfähig, wenn die zum Anwaltswechsel führenden Umstände für die Partei oder ihren Rechtsanwalt vorhersehbar waren oder (willentlich) herbeigeführt worden sind (vgl. BGH, a.a.O., zitiert nach juris Rn. 12; vgl. OLG Celle NJW-RR 2011, 485 [OLG Celle 07.12.2010 - 2 W 389/10]; OLG Celle, Beschluss vom 25.07.2011, Az.: 2 W 153/11).

Demgemäß waren die zur Festsetzung beantragten Kosten des zweiten Rechtsanwalts zu reduzieren, nachdem die Beklagte nicht in ausreichender Weise dargelegt und glaubhaft gemacht hat, dass der vorge...

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