Leitsatz (amtlich)
1. Führen die Kriterien zur Konkretisierung des Kindeswohls - Kontinuität der Erziehung, Förderung der Entwicklung eines Kindes, Bindungen des Kindes sowie der von ihm geäußerte Wille (vgl. BGH FamRZ 2010, 1060; 2011, 796) - zu keinem eindeutigen Vorrang eines Elternteils, kann im einstweiligen Anordnungsverfahren die Entscheidung über die Rückkehr des Kindes in den Haushalt des bisher betreuenden Elternteils auch auf eine Folgenabwägung gestützt werden, nach der ein mehrfacher Aufenthaltswechsel des Kindes zu vermeiden ist.
2. Auch im Gutachten eines Sachverständigen, der auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll (§ 163 Abs. 2 FamFG), sind die für das Kindeswohl maßgeblichen Kriterien umfassend abzuwägen.
Verfahrensgang
AG Elze (Beschluss vom 03.04.2012; Aktenzeichen 8 F 9/11) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Elze vom 3.4.2012 aufgehoben und die einstweilige Anordnung vom 20.9.2011 aufrechterhalten.
II. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Die der Antragsgegnerin und dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten werden nicht erstatten.
III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.500 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Aus der am ...2002 geschlossenen Ehe des Antragstellers und der Antragsgegnerin sind die Kinder L., geboren am ...2001, und A., geboren am ...2006 hervorgegangen. Nach der Trennung im August 2010 hielten sich zunächst beide Töchter im Haushalt des Antragstellers auf, bis sich die Eltern für die Tochter A. auf ein Wechselmodell verständigten, das jedoch nur wenige Wochen praktiziert wurde, während L. sich für einen Verbleib beim Antragsteller entschieden hatte.
Mit Beschluss vom 25.2.2011 hatte das AG im Wege einstweiliger Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A. auf den Kindesvater übertragen (8 F 10/11 AG Elze = 21 UF 78/11 OLG Celle). Der Umgang zwischen beiden Töchtern und der Antragsgegnerin erfolgte 14-tägig.
Im vorliegenden Verfahren begehren beide Eltern die dauerhafte Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für A.. Der Antragsteller macht im Wesentlichen geltend, A. habe ihren Lebensmittelpunkt in E. und könne so mit ihrer Schwester zusammen wohnen. Die Antragsgegnerin stützt ihren Antrag darauf, dass sie durch die bisherige Betreuung und Erziehung die Hauptbezugsperson von A. sei und ihre Arbeitszeiten der Betreuung nach dem Kindergarten nicht entgegenstehen.
Im Zwischenbericht vom 15.6.2011 hielt der vom AG bestellte Sachverständige Prof. Dr. J. einen Wechsel von A. in den Haushalt ihrer Mutter für prüfenswert, um so die seelische Lage des Kindes sowie ihre emotionale Beziehung zu ihrem Vater und ihrer Mutter besser einschätzen zu können. Nach der mündlichen Verhandlung vom 27.7.2011, in der das Vorgehen vom Sachverständigen näher erläutert worden war, entzog das AG mit Beschluss vom 20.9.2011 dem Antragsteller vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht und übertrug dieses als "vorläufige Regelung ..., um die Entscheidung in der Hauptsache vorbereiten zu können" auf die Antragsgegnerin. Seit dem 26.9.2011 hält sich A. im Haushalt der Antragsgegnerin und ihres Lebensgefährten in H. auf und besucht einen Kindergarten in A.. Die Umgangsregelung ist so gestaltet, dass beide Kinder gemeinsam die Wochenenden bei einem Elternteil verbringen.
Im weiteren Zwischenbericht vom 14.2.2012 hat sich der Sachverständige, weil eine einvernehmliche Lösung nicht erreicht werden konnte, dafür ausgesprochen, dem Antragsteller das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen, weil auf Seiten der Antragsgegnerin "deutliche Defizite" in der "Akzeptanz, Einstellung und Umgang mit der restlichen psychosozialen Lebenswelt des betreuten Kindes" bestehen.
Nach mündlicher Verhandlung vom 28.3.2012 hat das AG im angefochtenen Beschluss seine Entscheidung vom 20.9.2011 aufgehoben und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A. wieder auf den Antragsteller mit der Begründung übertragen, dass das dringende Bedürfnis für die Regelung im September 2011 nach der Erstellung des Sachverständigengutachtens nicht mehr fortbestehe und daher der vorherige Zustand wieder herzustellen sei.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde und macht - neben der Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen (insoweit 15 WF 92/12) - geltend, dass die Begutachtung noch nicht als abgeschlossen angesehen werden könne, da das Gutachten des Sachverständigen wesentliche Mängel aufweise und das Gericht ohne Anhörung des Kindes im Ergebnis einer Hauptsacheentscheidung vorgegriffen habe.
2. Die gem. §§ 57 Satz 2 Nr. 1, 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist die gemeinsame elterliche Sorge hinsichtlich des - hier allein streitigen - Aufenthaltsbestimmungsrechts aufzuheben und dieses einem Elternteil zu übertragen, wenn zu erwarten ist, dass die Übertragung der Alleinsorge insoweit auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am...