Entscheidungsstichwort (Thema)

Kapitalanleger-Musterverfahren: Sofortige Beschwerde gegen Aussetzungsentscheidung; Fortsetzung einer begonnenen Beweisaufnahme

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Aussetzung eines Rechtsstreits im Hinblick auf den bekanntgemachten Vorlagenbeschluss kommt dann nicht in Betracht, wenn die Beweisaufnahme über das Feststellungsziel vor dem Ausgangsgericht bereits vollständig oder nahezu abgeschlossen ist, so dass in einem solchen Fall bereits Entscheidungsreife vorliegt bzw. die Entscheidungsreife in unmittelbarer Zukunft herbeigeführt werden kann.

2. Eine Aussetzung kommt gleichfalls dann nicht in Betracht, wenn das Gericht schon umfangreich, ggf. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben hat und es unzumutbar erscheint, auf die bisher gewonnenen Beweisergebnisse zu verzichten.

 

Normenkette

KapMuG § 8 Abs. 1; ZPO § 252

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Beschluss vom 11.05.2016; Aktenzeichen 18 O 159/13)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Klägerinnen gegen den Aussetzungsbeschluss der 18. Zivilkammer des LG Hannover vom 11.5.2016 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 100 Millionen Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit ihrer am 29.12.2011 erhobenen Klage begehren die Klägerinnen von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 1.962.249.057,39 EUR wegen der von ihnen behaupteten Unrichtigkeit der Pressemitteilung vom ... 2008. Mit dieser Pressemitteilung informierte die Beklagte über ihre Zielsetzung, ihre damals bestehende Beteiligung an der V. AG von 42,6 % und zusätzlichen 31,5 % cash gesettelten Optionen auf V.-Stammaktien im Jahr 2009 auf 75 % aufzustocken und damit den Weg frei für einen Beherrschungsvertrag zu machen. Die Beklagte habe aber - so der Vortrag der Klägerinnen - im Zeitpunkt der Pressemitteilung gewusst, dass sie mangels ausreichender finanzieller Mittel den Abschluss eines Beherrschungsvertrags nicht würde durchsetzen können und ein solcher auch wegen des Fortbestehens des V.-Gesetzes unrealistisch sei.

Mit Schriftsatz vom 30.11.2012 haben die Klägerinnen die geltend gemachten Schadensersatzansprüche ferner auf kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt und damit begründet, dass die Beklagte eine beherrschende Stellung auf dem relevanten Markt für V.-Stammaktien innegehabt und diese marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt habe.

Das LG hat mit dem Hinweis- und Beweisbeschluss vom 11.3.2015 die Beweiserhebung über folgende Behauptungen der Klägerinnen angeordnet:

1. "Hatten die Mitglieder des Aufsichtsrates der P... H... am Tag der Aufsichtsratssitzung vom... 2008 Kenntnis davon, dass aufgrund des Kursverlaufs der V.-Stammaktie und der nicht ausreichenden Liquidität eine Übernahme von 75 % der V.-Stammaktien im Laufe des Jahres 2009 nicht realistisch war?

2. Beabsichtigten die Vorstände der P... H... mit dem Beschluss vom... 2008 unter Übermittlung der Presseerklärung vom... 2008, durch die Vorspiegelung einer Übernahmeabsicht von 75 % der V.-Stammaktien im Laufe des Jahres 2009 einen "short squeeze" auszulösen, eine Ausübung der gegebenen Put-Optionen zu verhindern, sich durch die Auflösung eigener Call-Optionen Liquidität zu verschaffen und Gewinne mitzunehmen?"

Das LG hat insoweit die Vernehmung von insgesamt 21 Zeugen angeordnet und Termine zur Durchführung der Beweisaufnahme auf vier Sitzungstage vom 5. bis 8.5.2015 anberaumt. Wegen weiterer acht von den Klägerinnen benannten Zeugen hat das LG darauf hingewiesen, dass eine Vernehmung dieser Zeugen nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht in Betracht komme, da nicht ausreichend konkrete Tatsachen in das Wissen dieser Zeugen gestellt worden seien. Im Hinblick auf gegen einzelne der geladenen Zeugen damals laufende Straf- und Ermittlungsverfahren hat das LG die Zeugen... sowie... abgeladen, nachdem sich die vorgenannten Zeugen auf ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 384 Nr. 2 ZPO berufen haben. Im Hinblick auf das Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen H. ist es zu einer Zwischenentscheidung des LG über den Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts mit Zwischenurteil vom 21.7.2015 gekommen. Der Senat hat mit Beschluss vom 11.1.2016 (13 W 58/15) das umfassende Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen H. bestätigt.

Beweis erhoben hat das LG bisher in der mündlichen Verhandlung vom 6.5.2015 und vom 7.5.2015 durch Vernehmung der beiden Zeugen... und... Nach dem Inhalt des Beweisbeschlusses steht die Vernehmung der vier Zeugen... und... noch aus.

Mit Vorlagebeschluss vom 13.4.2016 hat das LG in Bezug auf die hiesige Beklagte u.a. folgende Feststellungsziele zur Entscheidung im Musterverfahren vorgelegt:

"VII.1. Die Pressemitteilung der Beklagten zu 1 vom ... 2008 war unrichtig, unvollständig oder irreführend und zielte darauf ab, den Kapitalmarkt zu manipulieren, insbesondere darauf, dass Leerverkäufer von V.-Stammaktien ihre Leerverkäufe nach Kenntniserlangung dieser Pressemitteilung eindeckten.

...

XI.1. Die V.-Stammaktie stellte einen eige...

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