Kapitalanleger-Musterverfahren

Das Kapi­tal­an­leger-Mus­ter­ver­fah­rens­ge­setz wird refor­miert und soll unbefristet weiter gelten. Der am 13.6.2024 vom Bundestag beschlossene Gesetz­ent­wurf sieht eine stärkere Position der Ober­lan­des­ge­richte, eine deutliche Straffung sowie die Digi­ta­li­sie­rung der Ver­fahren vor. Nach Prüfung durch den Rechtsausschuss sind noch einige Modifikationen in den ursprünglich vom BMJ vorgelegten Entwurf eingeflossen.

Die wesent­li­chen Struk­tur­merk­male des Kapi­tal­an­leger-Mus­ter­ver­fah­rens sollen nach dem ins­ge­samt neu for­mu­lierten Gesetz erhalten bleiben. Das KapMuG sieht für bestimmte, kapi­tal­markt­be­zo­gene Rechts­strei­tig­keiten ein beson­deres Mus­ter­ver­fahren zur Durch­set­zung von Scha­den­er­satz­an­sprü­chen geschä­digter Anleger bei fal­schen, irre­füh­renden oder unter­las­senen öffent­li­chen Kapi­tal­markt­in­for­ma­tionen vor, die sich aus Bör­sen­pro­spekten, den Jah­res­ab­schlüssen oder sons­tigen Infor­ma­tionen ergeben, § 1 KapMuG-E.

Die wesent­li­chen Bestim­mungen des KapMuG-E

Auch nach dem neuen Geset­zes­text können kla­gende Anleger bei dem zustän­digen LG den Antrag stellen, dass das über­ge­ord­nete OLG vorab über Tat­sa­chen- oder Rechts­fragen mit Bin­dungs­wir­kung für das LG ent­scheidet, § 2 KapMuG-E.

  • Vor­aus­set­zung ist, dass sich die betref­fenden Tat­sa­chen oder Rechts­fragen in min­des­tens 10 anhän­gigen Ein­zel­klagen gleich­lau­tend stellen, § 7 KapMuG-E.
  • Ein zuläs­siger Mus­ter­ver­fah­rens­an­trag wird im Mus­ter­ver­fah­rens­re­gister öffent­lich bekannt gemacht, § 4 KapMuG-E.
  • Die Bekannt­ma­chung führt zur Unter­bre­chung des jewei­ligen Aus­gangs­ver­fah­rens, § 6 KapMuG-E.
  • Ein vom Gericht aus­ge­wählter Mus­t­er­kläger führt dann unter Betei­li­gung der übrigen betrof­fenen Par­teien das Mus­ter­ver­fahren beim OLG, § 10 Abs. 3 KapMuG-E.
  • Betei­ligte des Mus­ter­ver­fah­rens sind der Mus­t­er­kläger, die Mus­ter­be­klagten (Beklagte der unter­bro­chenen Aus­gangs­ver­fahren) sowie die Bei­ge­la­denen (Kläger der unter­bro­chenen Aus­gangs­ver­fahren, die nicht Mus­t­er­kläger sind), § 9 Abs. 1 KapMuG-E.
  • Das OLG ent­scheidet über die Tat­sa­chen und Rechts­fragen ein­heit­lich mit Bin­dungs­wir­kung für sämt­liche Indi­vi­dual­klagen, § 23 KapMuG-E, die nach Abschluss des Mus­ter­ver­fah­rens wei­ter­ge­führt werden.
  • Betrof­fene, die nicht selbst Klage erhoben haben, können ihre Ansprüche mit ver­jäh­rungs­hem­mender Wirkung beim OLG binnen 6 Monaten nach Bekannt­ma­chung des Eröff­nungs­be­schlusses über einen Rechts­an­walt anmelden, § 12 KapMuG-E.
  • Das OLG erlässt den Mus­ter­ent­scheid auch künftig auf­grund münd­li­cher Ver­hand­lung durch Beschluss, § 17 KapMuG-E. Dieser ist mit der Rechts­be­schwerde von jedem Betei­ligten anfechtbar, § 21 KapMuG-E.

Auch künftig Been­di­gung des Ver­fah­rens durch Ver­gleich möglich

Für die Been­di­gung eines Ver­fah­rens durch Ver­gleich bleibt es im wesent­li­chen bei den bis­he­rigen Rege­lungen. Gemäß § 18 KapMuG-E können die Par­teien über den Ver­fah­rens­ge­gen­stand auch künftig eine ver­gleichs­weise Eini­gung treffen.

  • Zur Gül­tig­keit des Ver­gleichs bedarf es einer Geneh­mi­gung des Gerichts, die durch unan­fecht­baren Beschluss erteilt wird, § 19 KapMuG-E.
  • Der geneh­migte Ver­gleich wird sämt­li­chen Bei­ge­la­denen mit einer Beleh­rung über die Wirkung des Ver­gleichs, das Recht zum Aus­tritt und über Form und Frist des Aus­tritts zuge­stellt, § 20 Abs. 1, Abs. 3 KapMuG-E.
  • Bei­ge­la­dene können inner­halb einer Frist von einem Monat nach Zustel­lung des Ver­gleichs ihren Aus­tritt aus einem geneh­migten Ver­gleich erklären, § 20 Abs. 2 KapMuG-E. Die Erklä­rung bedarf der Schrift­form oder kann zu Pro­to­koll der Geschäfts­stelle erklärt werden.
  • Das OLG stellt durch unan­fecht­baren, im Mus­ter­ver­fah­rens­re­gister bekannt zu machenden Beschluss fest, ob der geneh­migte Ver­gleich wirksam geworden ist. Mit der Bekannt­ma­chung wirkt der Ver­gleich für und gegen alle Betei­ligten, die nicht ihren Aus­tritt erklärt haben, § 24 Abs. 1 KapMuG-E.

Kapi­tal­an­leger-Mus­ter­ver­fahren über den 31.8.2024 hinaus

Nach der bis­he­rigen Fassung ist die Gül­tig­keit des KapMuG bis zum 31.8.2024 befristet. Nach dem nun beschlossenen Geset­zes­ent­wurf soll das Kapi­tal­an­le­ger­mus­ter­ver­fah­rens­ge­setz „als beson­dere Ver­fah­rens­ord­nung mit seinem bis­he­rigen Anwen­dungs­be­reich“ über dieses Datum hinaus erhalten bleiben. Nach Auf­fas­sung der Bun­des­re­gie­rung hat das beson­dere Kapi­tal­an­leger-Mus­ter­ver­fahren sich in der Praxis bewährt. Mit der Reform sollen einige der bis­he­rigen Unzu­läng­lich­keiten des Ver­fah­rens behoben und das Ver­fahren ins­ge­samt effi­zi­enter und schneller werden.

Stel­lung des OLG im Ver­fahren wird gestärkt

Im Zentrum der Reform steht eine Stär­kung der Befug­nisse der Ober­lan­des­ge­richte. Hierzu ist vor­ge­sehen, dass die Ober­lan­des­ge­richte künftig in die Lage ver­setzt werden, den Gegen­stand des Mus­ter­ver­fah­rens nach dem Maßstab der Sach­lich­keit schärfer zu defi­nieren, um so eine dem Gesamt­ver­fahren die­nende zweck­dien­li­chere Bün­de­lung der unter­schied­li­chen Ein­zel­ziele und damit eine ins­ge­samt effi­zi­en­tere Ver­fah­rens­füh­rung zu errei­chen. Im Ein­zelnen ist vor­ge­sehen:

  • Gemäß § 10 KapMuG-E ent­fällt die bisher vor­ge­schrie­bene Bindung des Ober­lan­des­ge­richts an den Vor­la­ge­be­schluss des LG. Das OLG soll künftig selbst durch Beschluss nach seinem Ermessen über die Eröff­nung und den Gegen­stand des Mus­ter­ver­fah­rens ohne enge inhalt­liche Bindung an den Vor­la­ge­be­schluss ent­scheiden.
  • Das OLG soll auch darüber ent­scheiden, inwie­weit sich aus den vor­ge­legten Mus­ter­ver­fah­rens­an­trägen nach seiner Beur­tei­lung gleich­ge­rich­tete Fest­stel­lungs­ziele ergeben und darüber, ob eine Ent­schei­dung über diese Fest­stel­lungs­ziele in Mus­ter­ver­fahren sach­dien­lich ist. Der Beschluss ist unan­fechtbar, § 10 Abs. 1 Satz 1 KapMuG-E.
  • Die Ent­schei­dung soll inner­halb von 3 Monaten nach Antrags­ein­gang erfolgen, § 10 Abs. 5 KapMuG-E.
  • Der Eröff­nungs­be­schluss ist bekannt zu geben und mit einer knappen Dar­stel­lung der for­mu­lierten Fest­stel­lungs­ziele, einer Benen­nung der betrof­fenen Ver­fahren und des vom OLG aus­ge­wählten Mus­t­er­klä­gers zu ver­sehen.
  • Gemäß § 8 KapMuG-E soll der Vor­la­ge­be­schluss künftig Sperr­wir­kung für die Zuläs­sig­keit wei­terer gleich­ge­rich­teter Mus­ter­ver­fah­rens­an­träge ent­falten.
  • Par­teien von Aus­gangs­ver­fahren, die nach Erlass des Vor­la­ge­be­schlusses die Teil­nahme am Mus­ter­ver­fahren erklären wollen, steht gemäß § 11 Abs. 1 KapMuG-E die Mög­lich­keit der Stel­lung eines Erwei­te­rungs­an­trages binnen 2 Monaten ab Bekannt­ma­chung des Eröff­nungs­be­schlusses zur Ver­fü­gung.
  • Sind nach Auf­fas­sung des OLG die Vor­aus­set­zungen für ein Ver­fahren nicht gegeben, so lehnt es die Eröff­nung durch unan­fecht­baren Beschluss ab, § 10 Abs. 4 KapMuG-E.

Schneller und effi­zi­enter

Eine kürzere Dauer des Ver­fah­rens soll dadurch ermög­licht werden, dass der Zeit­raum, bis es von einem Aus­gangs­ver­fahren vor dem Land­ge­richt zu einem Mus­ter­ver­fahren vor dem Ober­lan­des­ge­richt kommt, besser struk­tu­riert und ver­kürzt wird.

  • Gemäß § 3 KapMuG-E ent­scheidet wie bisher das Pro­zess­ge­richt über die Zuläs­sig­keit eines Mus­ter­ver­fah­rens­an­trags durch unan­fecht­bare Beschluss.
  • Die Zahl der Ver­fah­rens­be­tei­ligten soll deut­lich redu­ziert werden. Die bisher bestehende Pflicht, alle anhän­gigen Ver­fahren aus­zu­setzen, die von der Ent­schei­dung über die Fest­stel­lungs­ziele betroffen sind, wird künftig ent­fallen.  Eine Aussetzung erfolgt nur, wenn der Kläger des betreffenden Verfahrens dies beantragt. E
  • Gemäß § 4 KapMuG-E ist für die öffent­liche Bekannt­ma­chung von zuläs­sigen Mus­ter­ver­fah­rens­an­trägen im künf­tigen Mus­ter­ver­fah­rens­re­gister anstelle der bis­he­rigen Soll-Frist von 6 Monaten künftig eine Bekannt­ma­chungs­frist von 2 Monaten vor­ge­sehen.
  • Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 KapMuG-E wird das Pro­zess­ge­richt ver­pflichtet, den Beschluss zur Vorlage an das OLG zu erlassen, sobald die Min­dest­zahl von ins­ge­samt 10 Mus­ter­ver­fah­rens­an­trägen erreicht ist.

Erwei­te­rung des Anwen­dungs­be­rei­ches

Ein wichtiger Punkt der Reform ist die Erweiterung des Anwendungsbereiches:

  • Mit einem neuen § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 KapMuG-E wird der Anwen­dungs­be­reich auf den Kapi­tal­markt von Kryp­towerten ent­spre­chend der EU-Ver­ord­nung 2023/1114 (MiCA-VO) erstreckt.
  • Auf die Empfehlung des Rechtsausschusses bezieht der Gesetzentwurf nun auch Ratingagenturen in den Anwendungsbereich des Gesetzes ein. Veröffentlichte Ratings werden als Kapitalmarktinformationen qualifiziert und können damit Gegenstand eines Kapitalanlegermusterverfahrens werden.
  • Das gleiche gilt für die Abschlussvermerke von Abbschlussprüfern hinsichtlich offen zu legender Jahresabschlüsse und Konzernabschlüsse der Emittenten von Kapitalanlagen.
  • Schließlich werden auch Informationsbroschüren von Schwarmfinanzierungsdienstleistern im Bereich des Crowdfunding (Minibeteiligungen an Projekten und Neugründungen) in den Anwendungsbereich einbezogen.

Verbandsklage und Musterverfahren sind nebeneinander möglich

§ 1 Abs. 3 Satz 1 KapMuG-E stellt künftig klar, dass eine Ver­bands­klage ein Mus­ter­ver­fahren wegen des­selben Lebens­sach­ver­halts nicht aus­schließt. Die Ver­fahren stehen wegen der unterschiedlichen Regelungsbereiche - Kapitalanlagerecht/Verbraucherrechte - selb­ständig neben­ein­ander.

  • Digitalisierung: Auch im Kapitalanlegermusterverfahren wird die Digitalisierung Einzug halten, was zu einer zusätzlichen Beschleunigung der Verfahren führen soll. Die Gerichts­akten für Mus­ter­ver­fahren sollen bereits vor Ablauf der zum 1. Januar 2026 lau­fenden Regel­frist für die digi­tale Akten­füh­rung ab dem 1.1.2025 digital geführt werden müssen, § 14 KapMuG-E. Auf diese Weise sollen die bisher häufig lang­wie­rigen Akten­ein­sichten durch eine Viel­zahl von Ver­fah­rens­be­tei­ligten par­allel geführt werden können und damit deut­lich ver­kürzt werden.

Anwalt­schaft sieht Reform positiv

Die BRAK begrüßt die Reform in ihren wesent­li­chen Punkten. Kritik erfährt vor allem die neue 2-Monats­frist des § 11 Abs. 1 KapMuG-E zur nach­träg­li­chen Erwei­te­rung des Ver­fah­rens. Die bis­he­rige Erfah­rung habe gezeigt, dass Tat­sa­chen, die eine Erwei­te­rung recht­fer­tigen können, häufig wesent­lich später auf­träten. Die Zwei­mo­nats­frist enthält nach Auf­fas­sung der BRAK daher eine unnö­tige pro­zess­recht­liche Beschrän­kung. Ansonsten stößt die Reform über­wie­gend auf Zustim­mung.


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