Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung eines Mietvertrages über ärztliche Praxisräume wegen Nicht-einhaltung der Schriftform
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob die nachträgliche Errichtung einer dem Schriftformerfordernis des § 550 BGB genügenden Vereinbarung Wirkung ex nunc oder ex tunc entfaltet.
Normenkette
BGB §§ 242, 314 Abs. 3, §§ 535, 543 Abs. 3, § 550
Verfahrensgang
LG Hannover (Entscheidung vom 10.02.2023; Aktenzeichen 5 O 193/21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 10. Februar 2023 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahren hat die Beklagte zu tragen.
Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung seitens der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 60.000,- EUR abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 80.000,- EUR leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 65.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Räumung und Herausgabe von Räumlichkeiten im K. Klinikum S. in Anspruch, welche eine GbR als Rechtsvorgängerin der Beklagten von der Klägerin angemietet hatte.
Zur Darstellung des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 10. Februar 2023 (Bl. 164ff. d.A.), insbesondere die Wiedergabe des Parteivortrags und die gestellten Anträge sowie die tatbestandlichen Ausführungen des Senats unter Ziffer I. des Hinweisbeschlusses vom 30. Juni 2023 (Bl. 275ff. d.A.) Bezug genommen.
Der Senat hat die Beklagte mit dem vorgenannten Beschluss darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung der Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Beklagte hat sodann nach Verlängerung der Stellungnahmefrist bis zum 21. August 2023 mit Schriftsatz vom 21. August 2023, auf elektronischen Wege beim Oberlandesgericht eingegangen am selben Tage (Bl. 299ff. d.A.), zum Hinweisbeschluss des Senates Stellung genommen.
Die Beklagte teilt zunächst mit, dass sie zwischenzeitlich Ersatzmieträumlichkeiten gefunden habe und bietet der Klägerin den Abschluss eines Räumungsvergleiches an.
Im Übrigen sieht die Beklagte die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO als nicht erfüllt an. Das Landgericht sei davon ausgegangen, dass die Beklagte beweispflichtig für den Umstand sei, dass die Nachtragsvereinbarung vor Zugang der Kündigung unterzeichnet worden sei. Dies sei unzutreffend. Dem Rechtsstreit liege ein unstreitig wirksamer Mietvertrag und auch ein unstreitig wirksam abgeschlossener Nachtrag nebst entsprechender Urkunde zugrunde. Wenn sich die Klägerin auf die Unwirksamkeit und Formnichtigkeit des Mietvertrages zuzüglich des Nachtrages im Hinblick auf die erforderliche Schriftform berufe, müsse die Klägerin nachweisen, dass ein entsprechender Formmangel vorliege. Diesen Beweis sei die Klägerin aber fällig geblieben.
Ungeachtet dessen sei nach Auffassung der Beklagten die Beweisaufnahme zu wiederholen, damit der Senat sich selber ein Bild von den Zeugen machen könne, um die Glaubhaftigkeit deren Angaben und deren Glaubwürdigkeit bewerten zu können. Nach Auffassung der Beklagten sei bisher nicht ausreichend gewürdigt worden, dass beide Zeugen in einzelnen Detailfragen zum Teil sehr vage und unsichere Angaben gemacht hätten. Dies sei nach Auffassung der Beklagten fehlerhaft bewertet worden, denn diese Angaben würden gerade für die Glaubwürdigkeit der Zeugen und die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sprechen. Berücksichtige man, dass mit dem Zugang der für die Zeugen völlig überraschenden Kündigung eine extreme Veränderung ihres Berufslebens eingetreten sei, entspreche es der einfachen Logik, dass die Zeugen sich konkret daran erinnern könnten, dass sie erst nach diesem "Extremereignis" des Zugangs der Kündigung den Nachtrag zum Mietvertrag unterschrieben hätten.
Entgegen der Auffassung des Senates sei sehr wohl seitens der Klägerin bezüglich ihrer Berufung auf einen Formmangel ein Verstoß gegen Treu und Glauben gegeben, der es der Klägerin verbiete, sich auf den angeblichen Formverstoß zu berufen. Insoweit habe der vorliegende Rechtsstreit nach Auffassung der Beklagten auch eine grundsätzliche Bedeutung und diene der Fortbildung des Rechts. Es bestehe zwischen den Vertragsparteien ein besonderes Vertrauensverhältnis bei einer langen Vertragslaufzeit sowie eine weitere sehr enge Bindung, welche ein besonderes Treueverhältnis geschaffen habe. Die Parteien verbinde damit der besondere ethische Anspruch als hochwertiger medizinischer Vorsorger der Bevölkerung im Allgemeinen und im Besonderen durch die enge Kooperation über den reinen Mietvertrag hinausgehend. Die Beklagte verweist auf § 20 Abs. 2 des Mietvertrages, wonach die Parteien zu einem kooperativen positiven Verhalten vert...