Leitsatz (amtlich)
1. Das automatische Zuschlagsverbot nach § 115 Abs. 1 GWB dient der effektiven Durchsetzung des Anspruchs des Bieters, dass die behauptete Rechtsverletzung ggf. noch während des laufenden Vergabeverfahrens beseitigt wird. Die diesen Primärrechtsschutz verhindernde vorzeitige Gestattung des Zuschlags gemäß § 115 Abs. 2 GWB ist nur ausnahmsweise gerechtfertigt.
2. Bei der Interessenabwägung im Rahmen des § 115 Abs. 2 GWB ist eine Berücksichtigung der Erfolgsaussicht des Nachprüfungsantrags nicht generell ausgeschlossen. Die Gestattung des vorzeitigen Zuschlags kann mit einer fehlenden Erfolgsaussicht allerdings nur dann begründet werden, wenn sich die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags auf den ersten Blick erschließt.
Normenkette
GWB § 115
Tenor
Auf Antrag der Antragsteller wird das Verbot des Zuschlags nach § 115 Abs. 1 GWB wieder hergestellt.
Der Auftraggeber hat die Kosten des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht zu tragen.
Streitwert: 8.250.000 DM.
Tatbestand
A.
Das … schrieb Ende 1999 im Verhandlungsverfahren nach öffentlicher Vergabebekanntmachung den Neubau und die Finanzierung eines Transplantationsforschungszentrums und einer Frauenklinik … aus. In der Ausschreibung wurde zur Abgabe eines Angebots aufgefordert für
A: schlüsselfertige Erstellung des Objektes als Ganzes durch einen Generalunternehmer
Los B:
Bereitstellung der Finanzierungsmittel durch Forfaitierung (B 1)
oder mittels anderer projektbezogener Finanzierungsalternativen (B 2)
Los C:
Finanzierung und Bau aus einer Hand.
Als vorgesehene Termine für das Einreichen der Angebote und das Ende des Verhandlungsverfahrens wurden die 17. KW 2000 (= 24. bis 30. April 2000) und die 25. KW 2000 (= 19. bis 25. Juni 2000) angegeben.
Von den Unternehmen, die sich für die Abgabe von Angeboten bewarben, wählte das Staatshochbauamt je Los sieben Bewerber aus und forderte sie am 4. Februar 2000 zur Angebotsabgabe auf. Nach dem Eingang der Angebote wurden diese vom 5. bis 14. Juni 2000 in Gesprächen mit allen Bietern erläutert. Am 28. Juni 2000 forderte das Staatshochbauamt die in der engeren Wahl verbliebenen Bieter, zu denen die Antragsteller mit einem Angebot für das Los C gehörten, zur Abgabe von „Optimierungsangeboten” für die Lose B und C auf. Die Antragsteller gaben ein solches Angebot innerhalb der bis zum 30. Juni 2000 gesetzten Frist ab. Weitere Gespräche mit den Antragstellern wurden nicht geführt.
Mit Schreiben vom 26. September und 12. Dezember 2000 bat das Staatshochbauamt die Bieter, einer Verlängerung der Zuschlagsfrist bis zum 22. Dezember 2000 bzw. zum 31. Januar 2001 zuzustimmen. Die Antragsteller stimmten jeweils zu.
Als die Antragsteller erfuhren, dass das Staatshochbauamt mit der … verhandelte, die ein Angebot für das Los A abgegeben hatte, erklärten sie mit Brief vom 18. Januar 2001, sie seien über den für das Vergabeverfahren in Anspruch genommenen Zeitraum überrascht; falls das Staatshochbauamt beabsichtige, den Zuschlag auf ein anderes Angebot zu erteilen, werde gebeten, dies rechtzeitig unter Angabe der Gründe mitzuteilen. Mit Schreiben vom 25. Januar 2001 bat das Staatshochbauamt die Antragsteller, einer weiteren Verlängerung der Zuschlagsfrist bis zum 28. Februar 2001 zuzustimmen. Die Antragsteller gaben die Erklärung ab. Mit Schreiben vom 31. Januar 2001 teilte das Staatshochbauamt den Antragstellern mit, ihr Angebot sei in der abschließenden Wertung nicht interessant gewesen; die Aufträge würden kurzfristig an die jeweils günstigsten Bieter im Los A und Los B – … – erteilt.
Daraufhin haben die Antragsteller am 8. Februar 2001 ein Nachprüfungsverfahren beantragt. Sie haben gerügt: Das „beschleunigte” Verhandlungsverfahren sei mit der Begründung gewählt worden, dass Baubeginn im vierten Quartal 2000 sein solle, und dass eine Finanzierung des Bundes nach dem Hochschulbauförderungsgesetz in Anspruch genommen werden solle. Demgegenüber habe das Staatshochbauamt nach dem 26. Juni 2000 kein Interesse mehr bekundet, die Angebote rechtzeitig auszuwerten. Da offenbar eine Eilbedürftigkeit gar nicht bestanden habe, hätte ein offenes Verfahren gewählt werden müssen. Ein weiterer Verstoss im Vergabeverfahren liege darin, dass das Staatshochbauamt mit der … ein halbes Jahr lang über deren Angebot für das Los A verhandelt habe, obwohl das Verhandlungsverfahren nur für Angebote der Lose B und C vorgesehen gewesen sei. Bei den Verhandlungen sei es um unzulässige Preisgespräche gegangen.
Die Antragsteller haben beantragt,
- die Vergabestelle zu verpflichten, den Antragstellern die Möglichkeit zur Erläuterung ihres Angebots für das Los C zu geben und gegebenenfalls die Verhandlungen mit den Antragstellern über dieses Angebot fortzusetzen,
dem Auftraggeber aufzugeben, vor Durchführung des Nachprüfungsverfahrens von einem Zuschlag an Dritte, insbesondere die für das Los A in Aussicht genommene … und die für das Los B in Aussicht genommene … abzusehen,
hilfsweise:
festzustellen, dass die Antragsteller in ihren Rechten verletzt sind...