Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiordnung als Zeugenbeistand: Beiordnung für Tätigkeit im Vorfeld der Zeugenvernehmung. Beiordnung für eine bereits abschließend erbrachte Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der eindeutige Wortlaut des § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO gestattet es nicht, unter rein teleologischer Berufung auf Belange des Opferschutzes eine Beistandsbestellung allein für eine Tätigkeit im Vorfeld einer Zeugenvernehmung vorzunehmen.
2. Die rückwirkende Beiordnung eines Zeugenbeistandes nach § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO im alleinigen Vergütungsinteresse des bereits abschließend tätig gewordenen Rechtsanwalts kommt nicht in Betracht.
Normenkette
StPO § 68b Abs. 2 S. 1
Tenor
Der Antrag von Rechtsanwalt P. aus D., E. O. gemäß § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO als Zeugenbeistand beigeordnet zu werden, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Senatsvorsitzende hatte E. O. für drei Tage im Juni 2019 als Zeugin geladen. Bei der Zeugin handelt es sich um die Ehefrau des zentralen Zeugen A. O., der im Sommer 2015 aus Deutschland ausreiste, sich in Syrien der Vereinigung "Islamischer Staat" anschloss und nach seiner Rückkehr gegenüber den Strafverfolgungsbehörden sowie in der hiesigen Hauptverhandlung umfassende, auch die Angeklagten des hiesigen Verfahrens belastende Angaben machte. Die Zeugin E. O. reiste nach den Bekundungen ihres Ehemannes gemeinsam mit diesem aus und begleitete ihn während seines Aufenthaltes im Herrschaftsgebiet des IS. Ihre Vernehmung in der Hauptverhandlung sollte vornehmlich die Aktivitäten ihres Ehemannes im Vorfeld der gemeinsamen Ausreise sowie die Geschehnisse während ihres Aufenthaltes im IS-Gebiet und im Kontext ihrer Rückkehr nach Deutschland zum Gegenstand haben.
Mit Schreiben an den Senat vom 9. Mai 2019 hat Rechtsanwalt P. aus D. angezeigt, von der Zeugin E. O. mit der Vertretung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt worden zu sein. E. O. habe sich definitiv entschieden, von einem ihr zukommenden vollumfassenden Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch zu machen. Es werde daher darum ersucht, die Zeugin abzuladen.
Zugleich hat Rechtsanwalt P. beantragt, der Zeugin gemäß § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO als Beistand beigeordnet zu werden.
Mit Verfügung vom 17. Mai 2019 hat der Senatsvorsitzende unter Hinweis darauf, dass der Zeugin ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zukomme, die Abladung der Zeugin verfügt. Vor dem Hintergrund der über ihren Beistand vorgebrachten Erklärung der Zeugin, vollumfänglich von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, ist nicht mehr beabsichtigt, E. O. zu vernehmen.
II.
Der Antrag von Rechtsanwalt P., der Zeugin als Beistand gemäß § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO beigeordnet zu werden, war abzulehnen.
Die Beiordnung eines anwaltlichen Beistands gemäß § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO kommt nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur für eine Beistandsleistung bei einer Zeugenvernehmung und daher auch nur für die Dauer einer Vernehmung in Betracht. Denn Aufgabe eines gerichtlich bestellten Zeugenbeistands ist es, einen schutzbedürftigen Zeugen in der potentiell belastenden Situation einer Vernehmung bei der Wahrnehmung seiner Befugnisse zu unterstützen.
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand, der einen Zeugen bei der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen im Vorfeld einer Vernehmung berät, sieht das Gesetz demgegenüber nicht vor. Der eindeutige Wortlaut des § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO gestattet es - anders als in der Rechtsprechung und Literatur zum Teil vertreten wird (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 31. Januar 2006 - 14 (I) Qs 80/05, NStZ 2007, 240; MüKo-StPO/Maier, Bd. 1, 2014, § 68b Rn. 62 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 68b Rn. 12; KK-StPO/Slawik, 8. Aufl. 2019, § 68b Rn. 5) - nicht, unter rein teleologischer Berufung auf Belange des Opferschutzes eine Beistandsbestellung für eine Tätigkeit im Vorfeld einer Zeugenvernehmung vorzunehmen.
Eine Vernehmung von E. O. durch den erkennenden Senat ist indes, nachdem diese hat vortragen lassen, dass sie unter Berufung auf das ihr nach § 55 StPO zukommende umfassende Auskunftsverweigerungsrecht keine Angaben machen will, nicht mehr beabsichtigt; die Abladung der Zeugin ist bereits erfolgt.
Denn der Zeugin kommt ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu, weil zumindest der Anfangsverdacht einer Strafbarkeit der Zeugin wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 Abs. 2 Nr. 2 StGB besteht. Die Zeugin hat ausweislich der Bekundungen ihres Ehemannes im Vorfeld der gemeinsamen Ausreise zum IS den Behörden keine Anzeige von der Vorbereitung eines Anschlusses an den IS und damit einer Straftat der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a, § 129b StGB) durch ihren Ehemann A. O. gemacht. Der Strafausschließungsgrund des § 139 Abs. 3 StGB dürfte nicht eingreifen, weil keine Anhaltspunkte für Tatverhinderungsbemühungen der einvernehmlich gemeinsam mit ihrem Ehemann zum IS ausgereisten Zeugin ersichtlich sind.
Da aufgrund der anwaltlichen Erklärung kein Zweifel an der defin...