Leitsatz (amtlich)

Im Zwangsvollstreckungsverfahren nach §§ 887 ff. ZPO kann eine Zuständigkeit des Einzelrichters nicht nach § 348 ZPO begründet werden, wenn im Erkenntnisverfahren die voll besetzte Kammer entschieden hat.

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Beschluss vom 13.05.2004; Aktenzeichen 19 O 41/03)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuten Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das LG als Kollegialgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Beschwerdewert: 100.000 Euro.

 

Gründe

Die gem. §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 793 ZPO zulässige, insb. form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Schuldners hat einen vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das LG als Kollegialgericht in seiner vollen Besetzung gem. § 75 letzter Halbsatz GVG.

Die Einzelrichterin war nicht befugt, den Zwangsmittelbeschluss gem. § 888 ZPO zu erlassen, weil Prozessgericht des ersten Rechtszuges im Sinne dieser Vorschrift nach wie vor die Kammer als Kollegialgericht war, die das rechtskräftige Urteil vom 6.11.2003 erlassen hat.

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen den gesetzlichen Richter und damit auf einem von Amts wegen zu berücksichtigenden unheilbaren Verfahrensmangel i.S.v. § 295 Abs. 2 ZPO, weil sie nicht von der vollbesetzten Kammer als Prozessgericht i.S.v. § 888 ZPO, sondern von der Einzelrichterin erlassen worden ist. Dies führte zwingend zur Zurückverweisung der Sache an die Kammer als Kollegialgericht, weil der angefochtenen Entscheidung eine ordnungsgemäße prozessuale Grundlage fehlt. Zwar beruhte die Entscheidung der Kammer in voller Besetzung im Erkenntnisverfahren ausweislich des richterlichen Vermerks vom 26.9.2003 (Bl. 45 d.A.) darauf, dass die ursprünglich als originäre Einzelrichterin zuständige Richterin am LG S. ausgeschieden und der Kammer an deren Stelle die noch nicht ein Jahr mit bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten betrauten Richterin W. gem. § 348 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugewiesen worden war. Ob es für den Übergang der Sache auf die Kammer damals eines Beschlusses gem. § 348a ZPO bedurft hätte (Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 348 ZPO Rz. 6a), kann nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils der Kammer offen bleiben.

Die in einem weiteren richterlichen Aktenvermerk vom 11.3.2003 (Bl. 79 d.A.) vertretene Rechtsauffassung, dass mit der erneuten Zuweisung der Richterin am LG S. an die 19. Zivilkammer mit Wirkung vom 1.3.2004 das 3 Verfahren wieder Einzelrichtersache geworden sei, begegnet jedoch durchgreifenden Bedenken. Die Regelung des § 348 ZPO gilt lediglich für das abgeschlossene Erkenntnisverfahren. In dem Zwangsvollstreckungsverfahren nach §§ 887, 888 ZPO ist lediglich das Prozessgericht des ersten Rechtszuges als ausschließlich zuständiges Gericht bezeichnet. Damit ist das Gericht des Erkenntnisverfahrens in der im ersten Rechtszug maßgeblichen Besetzung als Kammer oder Einzelrichter bezeichnet. Einen Übergang der im Erkenntnisverfahren begründeten Zuständigkeit des voll besetzten Kollegiums auf den Einzelrichter für das anschließenden Zwangsvollstreckungsverfahren vor dem Prozessgericht sieht das Gesetz nicht vor. Der Einzelrichter ist nur dort Vollstreckungsorgan gem. §§ 887 ff. ZPO, wo er in der Hauptsache entschieden hat (Zöller/Greger, § 348 ZPO Rz. 2). Dagegen bleibt die vollbesetzte Kammer, die im Erkenntnisverfahren entschieden hat, auch für das Zwangsvollstreckungsverfahren Prozessgericht des ersten Rechtszuges. Ebenso wenig wie die Übertragung der Sache auf den Einzelrichter nach § 348 ZPO a.F. (= § 348a ZPO) erstmalig im Vollstreckungsverfahren erfolgen darf (OLG München v. 11.3.1983 - 25 W 770/83, MDR 1983, 499; OLG Koblenz v. 1.2.2002 - 5 W 841/01, NJW-RR 2002, 1724), kann die Anwendung der Regeln über die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters im Erkenntnisverfahren gem. § 348 ZPO dazu führen, dass erstmalig im Vollstreckungsverfahren der Einzelrichter h an Stelle der in der Hauptsache tätig gewesenen voll besetzten Kammer entscheidet.

Nach alledem bedarf es keiner Entscheidung, ob das LG mangels weiterer tatsächlicher Anhaltspunkte im Vorbringen der Parteien zutreffend davon ausgegangen ist, dass sich die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom 6.11.2003 nicht nach § 887 ZPO, sondern nach § 888 ZPO richtet (BGH v. 21.2.1986 - V ZR 226/84, MDR 1986, 570 = NJW 1986, 1676 [1677]).

Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus § 8 Abs. 1 S. 1 GKG a.F.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1248835

PA 2004, 151

OLGR-CBO 2004, 619

www.judicialis.de 2004

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