Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit des Einzelrichters der Zivilkammer für einen Ordnungsmittelbeschluss im einstweiligen Verfügungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Erlässt die Zivilkammer in der Besetzung des § 75 GVG eine einstweilige Verfügung, die mit einem Widerspruch bekämpft wird, und verbindet die Kammer sodann das einstweilige Verfügungsverfahren mit der Hauptsache, die hiernach dem Einzelrichter übertragen wird, ist dieser nicht befugt, einen Ordnungsmittelbeschluss nach § 890 ZPO zu erlassen. Prozessgericht des ersten Rechtszuges bleibt vielmehr die vollbesetzte Kammer.

 

Normenkette

ZPO §§ 147, 348, 793, 890; GVG § 75; GG § Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Mainz

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 11.04.2002; Aktenzeichen I ZB 6/02)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird der Ordnungsgeldbeschluss des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des LG Mainz vom 28.11.2001 aufgehoben.

Das Verfahren wird an die 9. Zivilkammer des LG als Kollegialgericht zurückverwiesen.

Diese hat auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden.

 

Gründe

Die vom Schuldner gegen den Ordnungsgeldbeschluss eingelegte sofortige Beschwerde (§ 793 Abs. 1 ZPO) hat einen vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Kollegialgericht.

1. Der Einzelrichter war nicht befugt, den Ordnungsgeldbeschluss zu erlassen, denn Prozessgericht i.S.d. § 890 Abs. 1 ZPO war nach wie vor das Kollegialgericht.

Nach Erlass der einstweiligen Verfügung durch die Kammer und der – unzulässigen (vgl. Zöller, ZPO, 22. Aufl., § 147 Rz. 3 m.w.N.) – Verbindung des Verfahrens der einstweiligen Verfügung mit dem Hauptsacheprozess durfte zwar dieser gem. § 348 ZPO auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen werden. Der Übertragungsbeschluss konnte den Einzelrichter aber nicht ermächtigen, selbstständig im Vollstreckungsverfahren tätig zu werden.

Für das Vollstreckungsverfahren aufgrund einer Beschlussverfügung ist es unerheblich, ob Widerspruch eingelegt ist oder nicht.

Der Schuldner wird gem. § 891 ZPO beteiligt; er ist mit der Vollziehung (§ 929 ZPO) der Beschlussverfügung Schuldner i.S.d. § 890 ZPO geworden.

Eine Zuständigkeit des Einzelrichters kann sich bei Beschlussverfügungen nicht ergeben. Nach Einlegung des Widerspruchs ist eine Übertragung des Verfahrens auf den Einzelrichter nicht mehr zulässig, da keine Erstentscheidung vorzubereiten und zu erlassen, sondern darüber zu befinden ist, ob eine vorhandene Kammerentscheidung aufgehoben oder bestätigt wird. § 348 ZPO betrifft darüber hinaus nur das Erkenntnisverfahren und nicht auch dessen Durchsetzung in der Zwangsvollstreckung. Es geht daher nicht an, nach Eingang eines Vollstreckungsantrags aufgrund einer von der Kammer – auch wenn vom Vorsitzenden gem. § 944 ZPO erlassen – stammenden Beschlussverfügung vor Widerspruchseinlegung die Vollstreckungsentscheidung auf den Einzelrichter zu übertragen. Da im Verfahren der einstweiligen Verfügung auch nach Einlegung des Widerspruchs keine Übertragung auf den Einzelrichter stattfindet, kann es bei Beschlussverfügungen in keinem Fall eine Vollstreckung durch den Einzelrichter geben, unabhängig davon, ob das Hauptsacheverfahren anhängig geworden ist oder nicht, denn Verfügungsverfahren und Hauptsacheverfahren sind selbstständige Verfahren (vgl. OLG München v. 11.3.1983 – 25 W 770/83, MDR 1983, 499; OLG Frankfurt v. 8.1.1981 – 20 W 11/81, MDR 1981, 504 – Pastor, Die Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, 3. Aufl., S. 87, 88).

2. In der unzulässigen Übertragung des Vollstreckungsverfahrens auf den Einzelrichter und in dessen Entscheidung liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel, der als Verstoß gegen eine unverzichtbare gesetzliche Zuständigkeitsbestimmung (gesetzliche Richter) keine Heilung gem. § 295 ZPO erfahren kann und zur Zurückverweisung an die Kammer als Kollegium führt (vgl. OLG München v. 11.3.1983 – 25 W 770/83, MDR 1983, 499 am Ende).

Diese wird durch eine Beweisaufnahme zu klären haben, ob der Schuldner nach Zustellung der einstweiligen Verfügung gegen das Unterlassungsgebot verstoßen hat.

Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Kammer zu entscheiden.

Beschwerdewert entsprechend dem Abwehrinteresse des Schuldners: 10.000 DM.

Kaltenbach Dr. Menzel Stein

 

Fundstellen

Haufe-Index 1111427

NJW-RR 2002, 1724

ZAP 2002, 333

InVo 2003, 114

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