Entscheidungsstichwort (Thema)
Vernehmung eines sistierten Zeugen ohne Dolmetscher
Leitsatz (amtlich)
Entscheidet sich das Tatgericht aufgrund seiner Aufklärungspflicht dafür, einen von dem Betroffenen mitgebrachten ("sistierten") Zeugen zu vernehmen, so muss es bei Auftreten erheblicher Verständigungsprobleme einen Dolmetscher hinzuziehen. Bricht es hingegen die Vernehmung aufgrund der Verständigungsprobleme ohne Hinzuziehung eines Dolmetschers ab, so ist der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO erfüllt.
Normenkette
GVG § 185; StPO § 244 Abs. 1, § 245 Abs. 2, § 338 Nr. 5; OWiG § 46 Abs. 1, § 77 Abs. 1, § 79 Abs. 3 S. 1, § 80 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
2. Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
3. Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
4. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hameln zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen "Benutzung eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient", zu einer Geldbuße von 130 Euro verurteilt.
Nach den Feststellungen führte der Betroffene am 21. Oktober 2020 um 15:50 Uhr seinen Pkw ..., amtliches Kennzeichen ..., auf der A.straße in C., Ortsteil M., in Höhe der Hausnummer ... und hielt während der Fahrt mit der rechten Hand "ein schwarzes Handy in Höhe des Lenkrades vor seinem Oberkörper und fixierte dieses nicht nur kurzweilig, sondern für mindestens 2-3 Sekunden mit seinem Blick".
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der mit einem Zulassungsantrag verbundenen Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet das Verfahren, u.a. die unterbliebene Hinzuziehung eines Dolmetschers bei der Vernehmung des Zeugen R. J.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Das Amtsgericht ist in einer elementaren Verfahrensfrage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen. Damit ist der Zulassungsgrund des Sicherungsbedürfnisses erfüllt (vgl. KK/OWiG-Hadamitzky 5. Aufl. § 80 Rn. 15).
Aus den vorgenannten Gründen ist die Sache gemäß § 80a Abs. 3 OWiG vom Einzelrichter auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen.
III.
Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge der unterbliebenen Hinzuziehung eines Dolmetschers bei der Vernehmung eines Zeugen (§ 185 GVG, § 338 Nr. 5 StPO) Erfolg.
1. Das Rechtsbeschwerdevorbringen genügt den Begründungsanforderungen an eine solche Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG).
Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, dass die Vorsitzende "seinen Beifahrer" als Zeugen gefragt habe, ob er sicher sei, dass der Betroffene sein Handy nicht benutzt habe. Diese Frage habe er - der Beschwerdeführer - dem "k. Zeugen, der nur über sehr lückenhafte Deutschkenntnisse verfüge, übersetzt". Das habe die Vorsitzende unterbunden. Sie habe sodann den Zeugen gefragt, ob er sich erinnern könne, wo die Verkehrskontrolle war, worauf der Zeuge nur "S." geantwortet habe. Daraufhin sei die Vernehmung beendet worden. Da der Beschwerdeführer den Zeugen "nicht als sprachunkundig angemeldet" habe, sei ein Dolmetscher nicht anwesend gewesen.
Im Übrigen ergibt sich der maßgebliche Verfahrensgang aus den Urteilsgründen selbst (UA S. 4 unten, S. 5 oben). Danach hat der "vom Betroffenen mitgebrachte Zeuge R. J." mitgeteilt, dass er Beifahrer gewesen sei. Konkrete Erinnerungen an die Örtlichkeiten habe der Zeuge jedoch nicht mitteilen können. Ob es sich bei dem Zeugen tatsächlich um den Beifahrer gehandelt habe, habe auch nach Vernehmung der Polizeibeamten "nicht eindeutig verifiziert werden" können. Aufgrund der "erheblichen Verständigungsprobleme" sei auf eine "weitere Vernehmung verzichtet" worden. Der Betroffene habe "keinen Beweisantrag" gestellt.
2. Das Urteil unterliegt gemäß § 338 Nr. 5 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG der Aufhebung, weil entgegen § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG, § 46 Abs. 1 OWiG an der Hauptverhandlung kein Dolmetscher für den Zeugen J. teilgenommen hat.
a) Nach § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG, der auch im gerichtlichen Bußgeldverfahren gilt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 22. Juli 2015 - 1 Ss (OWi) 118/15, NStZ 2015, 720), ist ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Beteiligt in diesem Sinn sind alle Personen, mit denen eine Verständigung mittels der Sprache notwendig ist, dazu gehören auch Zeugen (BayObLG, Beschluss vom 24. September 2004 - 1 St RR 143/04, NStZ-RR 2005, 178 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 185 GVG Rn. 1).
Ausweislich des Protokolls war in der Hauptverhandlung ein Dolmetscher für den Zeugen J. nicht anwesend, obwohl sich nach den Urteilsfeststellungen während der Vernehmu...