Leitsatz (amtlich)
1. Hat das Tatgericht über die Frage der Aussetzung der Vollstreckung mehrerer aussetzungsfähigen, untereinander nicht gesamtstrafenfähiger Freiheitsstrafen gegen denselben Angeklagten zu entscheiden, so muss die gemäß § 56 Abs. 1 StGB erforderliche Kriminalprognose angesichts der identischen Prognosegrundlagen einheitlich erfolgen.
2. Hat der Tatrichter die für den Rechtsfolgenausspruch relevanten Tatsachen einschließlich der für die Prognose maßgeblichen tatsächlichen Grundlagen vollständig festgestellt, kann das Revisionsgericht gemäß § 354 Abs. 1a StPO die Strafaussetzung zur Bewährung für alle aussetzungsfähigen Freiheitsstrafen selbst gewähren, wenn wegen der Notwendigkeit einer einheitlichen Prognose und der Geltung des Verschlechterungsverbots auch der Tatrichter keine andere Entscheidung als die Aussetzung der Vollstreckung aller verfahrensgegenständlichen Freiheitsstrafen hätte treffen können. Über die nach § 268a StPO erforderlichen Nebenentscheidungen hat dennoch der Tatrichter zu entscheiden (Anschluss an BGH NStZ 2001, 319).
Normenkette
StGB § 56 Abs. 1; StPO § 354 Abs. 1a, § 268a
Verfahrensgang
LG Stade (Entscheidung vom 30.06.2010) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Stade vom 30. Juni 2010 aufgehoben, soweit die Aussetzung der Vollstreckung der gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr zur Bewährung versagt worden ist. Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
2. Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Gründe
I. 1. Der Angeklagte war durch das Amtsgericht Stade wegen Diebstahls in zwei Fällen und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Auflösung einer früheren Gesamtfreiheitsstrafe und Einbeziehung der dortigen Einzelstrafen zu einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden. Die Vollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafe hatte das Amtsgericht zur Bewährung ausgesetzt. Darüber hinaus hatte das Amtsgericht den Angeklagten wegen einer weiteren Diebstahlstat, die ihm durch Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stade vom 10. September 2009 vorgeworfen worden war, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt.
Nach einer mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft erfolgten Teilrücknahme der zunächst unbeschränkt eingelegten Berufung hat der Angeklagte sich mit diesem Rechtsmittel lediglich noch gegen die Verurteilung wegen des letztgenannten Diebstahls mit dem Ziel des Freispruchs gewandt. Das Berufungsgericht hat mit dem nunmehr angefochtenen Urteil die Berufung des Angeklagten verworfen und lediglich den Tenor des amtsgerichtlichen Urteils klarstellend neu gefasst.
2. Der Angeklagte ist nach den Feststellungen des Landgerichts bereits mehrfach wegen Eigentums und Vermögensdelikten in Erscheinung getreten. So wurde er im Jahr 2000 u.a. wegen Diebstahls in 34 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt, die er größtenteils verbüßen musste. 2001 erfolgte eine Verurteilung wegen Unterschlagung und Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten. Weiterhin wurde gegen ihn 2007 eine einjährige Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Schusswaffen verhängt. Die zunächst gewährte Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung wurde widerrufen und die Strafe vollstreckt. 2008 folgten weitere Verurteilungen wegen versuchten und vollendeten Diebstahls sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu Freiheitsstrafen von drei bzw. neun Monaten Freiheitsstrafe. Dabei handelt es sich um Verurteilungen, die in die hier in der ersten Instanz gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten einbezogen worden sind.
3. Zu der dem Angeklagten mit der Anklage vom 10. September 2009 vorgeworfenen Diebstahlstat hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Angeklagte und der später geschädigte Zeuge D., die sich aufgrund einer früheren gemeinsamen Tätigkeit für ein Unternehmen kannten, sich nach Jahren in einem Lokal zufällig wieder getroffen hatten. Der Angeklagte arbeitete dort als Hausmeister. Der Zeuge D. bestückte in dem Lokal den Zigarettenautomaten im Rahmen einer Tätigkeit als Fahrer eines Unternehmens, das solche Automaten unterhält. Über gelegentliche Gespräche gingen die Kontakte jedoch nicht hinaus. In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni 2009 begab sich der Angeklagte mit unbekannt gebliebenen Mittätern auf das Grundstück des Zeugen D. und hebelte dort die Fensterscheibe im Anbau des Wohnhauses auf. Wegen Umstellungen der Preise der aus Zigarettenautomaten erhältlichen Zigarettenpackungen hatte der Zeuge D. größere Mengen Zigarettenstangen sog. Randsorten in dem Anbau gelagert. Nach dem Aufhebeln entwendete der Angeklagte 43 Zigarettenstangen zu jeweils 20 Schachteln aus dem Anbau. Darüber hinaus nahm er auch eine angebrochene Stange mit Zigaretten ...