Leitsatz (amtlich)

Lag ein Verfahrenshindernis bereits bei Entscheidung des Tatgerichts vor, ist das angefochtene Urteil insoweit im Revisionsverfahren gemäß § 349 Abs.4 StPO aufzuheben und das Verfahren gemäß § 354 Abs.1 StPO einzustellen. Eine Einstellung gemäß § 206a StPO kommt nicht in Betracht.

Erschöpft das Tatgericht die zugelassene Anklage oder den Strafbefehl nicht, indem es über eine ihm unterbreitete selbständige prozessuale Tat nicht entscheidet, ist das Verfahren wegen dieser Tat weiter beim Tatgericht anhängig, wenn das tatrichterliche Urteil nicht gerade insoweit mit der Revision angefochten wird. Dem Revisionsgericht ist dann hinsichtlich der nicht abgeurteilten Tat jede Entscheidung verwehrt.

 

Tenor

  • 1.

    Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

  • 2.

    Das Verfahren wird hinsichtlich der Tat vom 21. Juli 2005 eingestellt.

  • 3.

    Hinsichtlich der Tat vom 9. März 2005 wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision insgesamt - an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts H. zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Beförderungserschleichung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 19 EUR unter Gewährung von Ratenzahlung verurteilt.

Nach den Feststellungen benutzte der Angeklagte am 9. März 2005 gegen 12:00 Uhr eine Straßenbahn der Linie 6 ohne gültigen Fahrausweis, um den Fahrpreis zu sparen. Aus dem gleichen Grund fuhr er am 21. Juli 2005 mit einer Straßenbahn der Linie 9, ohne einen Fahrschein zu lösen. Gestützt hat das Amtsgericht die Verurteilung u. a. auf die Aussagen des Fahrscheinkontrolleurs S. und der Kontrolleurin G..

Dieser Verurteilung war folgender Verfahrensablauf vorhergegangen:

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft H. hatte das Amtsgericht am 25. November 2005 Strafbefehl erlassen, mit dem dem Angeklagten drei Fälle der Beförderungserschleichung, begangen am 9. März 2005, 1. Juli 2005 und 21. Juli 2004, zur Last gelegt wurden. In der auf den Einspruch des Angeklagten anberaumten Hauptverhandlung vom 22. Februar 2006 stellte das Amtsgericht das Verfahren hinsichtlich der letztgenannten Tat gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, nachdem es darauf hingewiesen hatte, dass Tatzeit insoweit tatsächlich der 21. Juli 2005 gewesen sei. Wegen der zwei verbliebenen Taten vom 9. März und 1. Juli 2005 wurde der Angeklagte verurteilt, das Urteil jedoch später vom erkennenden Senat aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen. Das Amtsgericht verhandelte darauf am 6. Oktober 2006 erneut und vernahm im Termin die Fahrausweisprüfer Gh. und S. als Zeugen. Es erging das oben dargestellte Urteil.

Gegen dieses wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Sprungrevision, mit dem er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Bereits die Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt, Einstellung hinsichtlich des die Tat vom 21. Juli 2005 betreffenden Verfahrens und Zurückverweisung der Sache im Übrigen, sodass es eines Eingehens auf die Verfahrensrügen nicht bedarf.

1.

Hinsichtlich der Verurteilung wegen der Tat vom 21. Juli 2005 konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben, weil mit dem Einstellungsbeschluss nach § 154 Abs. 2 StPO die gerichtliche Anhängigkeit des diese Tat betreffenden Verfahrens beendet und ein Verfahrenshindernis entstanden war (BGHSt 30, 197, 198).

Die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO im Hauptverhandlungstermin vom 22. Februar 2006 bezog sich auch auf die Tat vom 21. Juli 2005 und nicht etwa auf eine solche vom 21. Juli 2004, wie es versehentlich im Strafbefehl vom 25. November 2005 geheißen hat. Die Tatzeit konnte nämlich durch einen gerichtlichen Hinweis, wie ihn die Strafrichterin gegeben hat, korrigiert werden. Denn die Tat war auch durch die benutzte Linie und den kontrollierenden Fahrausweisprüfer jedenfalls vor dem Hintergrund, dass dem Angeklagten insgesamt "nur" drei Taten vorgeworfen sind, hinreichend konkretisiert und die falsche Angabe der Jahreszahl anders als bei Serientaten als Schreibversehen für die Verfahrensbeteiligten ohne Weiteres erkennbar (vgl. dazu etwa BGHR, § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, Tat 19 "Zeitraum bei Serienstraftaten"; BGH NJW 2000, 3293; BGH, Beschluss vom 13.11.2003, 3 StR 359/03, juris = NStZ-RR 2004, 146).

Da das Verfahrenshindernis (Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO) bereits vor Erlass des angefochtenen Urteils eingetreten war, sodass das Amtsgericht nach § 260 Abs. 3 StPO hätte verfahren müssen, war gemäß §§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 1 StPO das Urteil hinsichtlich der Tat vom 21. Juli 2005 aufzuheben und das Verfahren einzustellen (OLG Koblenz, StraFo 2005, 129; KK-Tolksdorf, StPO 5. Aufl., Rdnr. 4 zu § 206 a; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., Rdnr. 6 zu § 206 a).

Soweit der Bundesgerichtshof (BGHSt 24, 208, 212;  32, 275, 290; aber auch BGHR § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, Tat 8 "unbestimmte Serienstraftaten") demgegenüber auch eine Einstellung des Verfahrens nach § 206 a StPO zul...

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