Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Urteil vom 22.02.2022; Aktenzeichen 5 O 178/21)

 

Tenor

1. Die Anordnung der Aussetzung gemäß Beschluss vom 24. Oktober 2022 wird aufgehoben und das Verfahren fortgesetzt.

2. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis zu 7.000 EUR festgesetzt.

3. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 22. Februar 2022 durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

4. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme und zur evtl. Rücknahme der Berufung aus Kostengründen innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

 

Gründe

I. Da vor dem Hintergrund der nachstehenden Ausführungen unter II.2. eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unabhängig davon ausscheidet, ob diesen Bestimmungen drittschützende Wirkung zukommt, erweist sich die offenstehende Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 im Streitfall nicht als vorgreiflich, weswegen die Anordnung der Aussetzung aufgehoben und das Verfahren fortgesetzt werden konnte.

II. Die Rechtssache dürfte keine grundsätzliche Bedeutung haben, eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dürfte nicht erforderlich und eine mündliche Verhandlung nicht geboten sein. Nach vorläufiger Beurteilung hat die Berufung des Klägers darüber hinaus auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg:

Im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs Audi Q3 gegen die Beklagte zustehen, weswegen auf die Frage der - fehlenden - Zulässigkeit seines vorrangig verfolgten Feststellungsbegehrens ohnehin nicht weiter eingegangen zu werden braucht. Mit seinen hiergegen erhobenen Berufungsrügen kann der Kläger nicht durchdringen.

Im Einzelnen:

1. Ein Anspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB besteht nicht.

Zwar kommt, wenn unter Täuschung im EG-Typengenehmigungsverfahren bewusst eine unzulässige Motorsteuerungssoftware verbaut wird, eine deliktische Haftung des Herstellers nach §§ 826, 31 BGB grundsätzlich in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19; vgl. ferner: Senatsurteile vom 20. November 2019 - 7 U 244/18, juris Rn. 26 ff. und vom 22. Januar 2020 - 7 U 445/18). Dem Vorbringen des Klägers lassen sich die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs auf Schadensersatz gegen die Beklagte aber nicht schlüssig entnehmen.

a) Sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2021 - VII ZR 257/20, juris Rn. 19 mwN).

Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2021 - VII ZR 257/20, juris Rn. 20 mwN).

Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass dies in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2021 - VII ZR 257/20, juris Rn. 21 mwN).

Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass eine die Abgasemissionen beeinflussende Einrichtung im Emissionskontrollsystem im Fahrzeug des...

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