Leitsatz (amtlich)

1. Zum Anspruch eines Strafgefangenen auf Zugang zum anstaltseigenen Faxgerät am Tag des Fristablaufs für die Einlegung eines Rechtsbehelfs.

2. Die Dringlichkeit eines Falls im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG ist nach objektiven Kriterien und unabhängig davon zu beurteilen, ob der Strafgefangene den Eilbedarf in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat.

 

Normenkette

NJVollzG § 29 Abs. 1 S. 2; StVollzG § 112 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Entscheidung vom 17.06.2011; Aktenzeichen 17a StVK 259/11)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 2. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit Sitz in Celle vom 17. Juni 2011 aufgehoben.

Dem Antragsteller wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Frist zur Einreichung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gegen den Vollzugsplan vom 23. März 2011 gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Der Antragsteller wendet sich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Vollzugsplan vom 23. März 2011, der ihm am 18. April 2011 bekannt gegeben wurde.

Am Montag, 2. Mai 2011, dem Tag des Fristablaufs, beantragte der Antragsteller mit dem Zusatz "Eilt Terminsache!", das Faxgerät der Antragsgegnerin für die Übersendung des auf den 1. Mai 2011 datierten Antrags auf gerichtliche Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer nutzen zu dürfen. Auf Nachfrage der Antragsgegnerin, was ihn innerhalb der 14tägigen Rechtsmittelfrist von der Übersendung abgehalten habe, erwiderte der Antragsgegner, er habe das erst ein paar Tage "sacken" lassen müssen. Er habe den Antrag am Freitag fertig gehabt, wollte ihn Montag morgen abgeben und habe dann erfahren, dass der Antrag am Montag wahrscheinlich nicht mehr den Empfänger erreiche. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag auf Gewährung des anstaltseigenen Faxgeräts mit folgender Begründung ab:

"Sie hatten 14 Tage Zeit, was Sie von vornherein wussten. Wenn Sie den Vollzugsplan haben "sacken lassen" müssen, so ist festzustellen, dass in Bezug auf den vorherigen Vollzugsplan nicht allzu viel Neues niedergeschrieben wurde und dies als Argument ungeeignet ist. Als Realschüler ist Ihnen das Erfassen des "Ausmaßes" Ihres Vollzugsplans zuzutrauen, zumal Sie über Ostern vom 21.04. bis 26.04.11 auch genügend Zeit ohne Schulstress für die Bearbeitung hatte. Wenn Sie - wie Sie darlegen - Freitag (29.04.) den Vorgang fertig hatten, so hätten Sie diesen auch zur Post geben können. Ihre Argumente dringen nicht durch, weswegen eine Weitergabe per Fax am 02.05.11 nicht dringend angezeigt war."

Den unmittelbar darauf gestellten Antrag des Antragstellers, ihn zum Gericht auszuführen, um einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zur Niederschrift des Protokollbeamten einlegen zu können, wies die Antragsgegnerin unter Hinweis auf die ausreichende 14tägige Rechtsmittelfrist ebenfalls zurück.

Der schriftliche Antrag auf gerichtliche Entscheidung ging - verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - am 9. Mai 2011 bei der Strafvollstreckungskammer ein.

Durch Beschluss vom 17. Juni 2011 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung wegen Versäumung der Antragsfrist als unzulässig verworfen.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde.

II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache - vorläufig - Erfolg.

Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht - konkludent - zurückgewiesen und hätte den Antrag auf gerichtliche Entscheidung deswegen nicht als verfristet verwerfen dürfen.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 102 NJVollzG i. V. m. § 116 Abs. 1 StrVollzG zulässig, denn es ist geboten, die Nachprüfung der Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Die Frage des Anspruchs eines Strafgefangenen auf Nutzung des Faxgeräts der Justizvollzugsanstalt zur Einlegung eines Rechtsbehelfs am Tage des Fristablaufs ist seit Geltung des § 29 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG - in Kraft seit dem 1. Januar 2008 - obergerichtlich nicht geklärt.

2. Dem Antragsteller war gem. § 102 NJVollzG i. V. m. § 112 Abs. 2 StrVollzG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der zweiwöchigen Frist zur Einlegung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 Abs.1 Satz 1, 112 Abs. 1 StrVollzG zu gewähren. Er war ohne Verschulden gehindert, die Frist einzuhalten.

a. Grundsätzlich ist ein Beschwerdeführer berechtigt, die ihm zur Einlegung eines Rechtsbehelfs zur Verfügung stehende Frist voll auszuschöpfen (BVerfGE 41, 323. BVerfGE 69, 381. BGH, Beschl. vom 26. April 2006, 1 StR 154/06, juris. MeyerGoßner, StPO, 54. Aufl., § 44 Rn. 12a m.w.N.). Allerdings schließt das Ausschöpfen der Frist den Zeitraum mit ein, der erforderlich ist, um den Rechtsbehelf in der gesetzlich vorgeschriebenen Form bei Gericht anzubringen (v...

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