Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Einspruchsfrist bei Zustellung eines nicht mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehenen Versäumnisurteils

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zustellung eines entgegen § 313b Abs. 3 ZPO nicht mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehenen, im Ausland geltend zu machenden Versäumnisurteils setzt regelmäßig die Einspruchsfrist in Gang.

Zu Aufsichts- und Organisationspflichten großer Unternehmen, deren Verletzung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehen können.

 

Normenkette

ZPO §§ 233, 313b Abs. 3, § 339

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Aktenzeichen 6 O 111/16)

 

Tenor

1. Es wird erwogen, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO und zugleich das Wiedereinsetzungsgesuch zurückzuweisen.

Der Beklagten wird Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses gegeben.

2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 10.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, eine Internetseite unter der Bezeichnung "S. Friseur" zu betreiben. Am 5. Dezember 2016 erging antragsgemäß ein Versäumnisurteil, das nicht mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehen war, obwohl die Beklagte ihren Sitz im Ausland hat. Dieses Urteil wurde der Beklagten in englischer Übersetzung am 7. März 2017 zugestellt. Mit Schreiben vom 22. November 2017 hat sie gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt und gleichzeitig hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist beantragt. Mit Urteil vom 28. Februar 2018 hat das Landgericht den Einspruch der Beklagten als unzulässig verworfen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt und beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hannover vom 28. Februar 2018, Az. 6 O 111/16, aufzuheben und die Sache an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Versäumnisurteil vom 5. Dezember 2016 und das angefochtene Urteil vom 28. Februar 2018 Bezug genommen.

II. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch fordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Ferner ist auch eine mündliche Verhandlung nicht geboten. Die Berufung hat nach derzeitigem Beratungsstand schließlich offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht dürfte den Einspruch der Beklagten vom 22. November 2017 gegen das Versäumnisurteil vom 5. Dezember 2016 zu Recht - nach § 341 Abs. 2 ZPO durch Urteil ohne mündliche Verhandlung - als unzulässig verworfen haben.

1. Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil dürfte unzulässig sein, weil er nicht fristgemäß eingelegt wurde.

Die Einspruchsfrist betrug nach § 339 Abs. 2 ZPO in der zum Zeitpunkt des Erlasses des Versäumnisurteils geltenden Fassung entsprechend der Festsetzung durch das Landgericht, die Ermessensfehler nicht erkennen lässt, vier Wochen.

Diese Einspruchsfrist begann nach § 339 Abs. 1 ZPO mit der Zustellung des Versäumnisurteils. Die Zustellung erfolgte - unstreitig - am 7. März 2017. Mögliche Zustellungsmängel wurden jedenfalls nach § 189 ZPO geheilt. Letztere Vorschrift findet auch auf Auslandzustellungen Anwendung (Zöller/Geimer, ZPO, 32. Aufl., § 183 Rn. 3, 29). Die Einspruchsfrist lief daher am 4. April 2017 ab.

Zwar war das Versäumnisurteil entgegen § 313b Abs. 3 ZPO nicht mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehen. Dies dürfte dem Beginn der Einspruchsfrist jedoch nicht entgegengestanden haben.

Zwar entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Zustellung eines entgegen §§ 313a, 313b ZPO nicht mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehenen Urteils die Berufungsfrist (und entsprechend auch die Revisionsfrist) nicht in Gang setzt (BGH, Beschluss vom 31. Mai 1990 - VII ZB 1/90, juris Rn. 10 f.; Urteil vom 16. Oktober 2001 - X ZR 212/99, juris Rn. 7 f.). Diese Rechtsprechung dürfte jedoch nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar sein, dass ein im Ausland geltend zu machendes (echtes) Versäumnisurteil nicht mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehen ist.

a) Für die Berufungsfrist - und entsprechend die Revisionsfrist - bestimmen §§ 517, 548 ZPO, dass diese Fristen erst mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils beginnen. Eine entsprechende gesetzliche Regelung fehlt in § 339 Abs. 1 ZPO.

Den Regelungen betreffend den Beginn der Berufungs- und Revisionsfrist liegt die Erwägung zugrunde, dass diese Fristen erst dann laufen sollen, wenn die unterlegene Partei Gelegenheit zur Kenntnisnahme des gesamten Urteils hat; nur eine vollständige Urteilsfassung bildet eine hinreichend sichere Grundlage für das weitere Handeln der Partei. Parteien sollen nicht gezwungen werden, Rechtsmittel gegen ...

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