Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot bei Bußgeldvorschriften einer Verordnung zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot dürfen bei Bußgeldtatbeständen wegen der weniger einschneidenden Unrechtsfolgen als im Strafrecht nicht überspannt werden.
2. Der erforderliche Grad an gesetzlicher Bestimmtheit ist bei einem Bußgeldtatbestand, der in einer Verordnung zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 normiert ist, die im Oktober 2020 und damit zu Beginn der sog. "2. Covid19-Welle" erlassen wurde, auch deshalb reduziert, weil die Vorschrift zur Bekämpfung einer Pandemie mit erheblichem Gefahrenpotential für die Volksgesundheit eingeführt wurde.
3. § 19 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 genügt unter Berücksichtigung dieser reduzierten Anforderungen dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG.
Normenkette
IfSG §§ 28, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24; GG Art. 103 Abs. 2; OWiG § 3; Corona-VO NDS § 6 Fassung: 2020-10-30, § 19 Fassung: 2020-10-30
Verfahrensgang
AG Dannenberg (Entscheidung vom 20.07.2021) |
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
2. Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
3. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Dannenberg (Elbe) vom 20. Juli 2021 wird verworfen
4. Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Dannenberg (Elbe) hat gegen die Betroffene mit Urteil vom 20. Juli 2021 wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen §§ 6 Abs. 1, 19 Abs. 1 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 eine Geldbuße von 200 € festgesetzt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hielt sich die Betroffene am 12. November 2020 in der Zeit von 20.10 Uhr bis 20.27 Uhr in ihrer Wohnung in der Lange Str. 25 in ... mit neun weiteren Personen auf. Sämtliche in der Wohnung im genannten Zeitraum aufenthältigen Personen stammten aus unterschiedlichen Haushalten und waren nicht miteinander verwandt.
Zum Tatzeitpunkt galt die Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020, geändert durch § 4 der Verordnung vom 6. November 2020 (Nds. GVBl. S. 380).
§ 6 Abs. 1 Niedersächsische Corona-Verordnung lautete zum Tatzeitpunkt wie folgt:
"Regelungen für private Zusammenkünfte und Feiern
(1) Private Zusammenkünfte und Feiern, die
1. in der eigenen Wohnung oder anderen eigenen geschlossen Räumlichkeiten,
2. auf eigenen oder privat zur Verfügung gestellten Flächen unter freiem Himmel wie zum Beispiel in zur eigenen Wohnung gehörenden Gärten oder Höfen oder
3. in der Öffentlichkeit, auch in außerhalb der eigenen Wohnung zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten, stattfinden, sind nur mit Angehörigen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB, mit Personen aus nicht mehr als zwei Hausständen sowie mit Kindern bis zu einem Alter von zwölf Jahren, insgesamt aber mit nicht mehr als zehn Personen zulässig.
(2) Private Zusammenkünfte und Feiern, die die in Absatz 1 genannten Anforderungen nicht erfüllen, sind verboten."
Der Bußgeldtatbestand der zum Tatzeitpunkt geltenden Niedersächsischen Corona-Verordnung lautete wie folgt:
"§ 19 Ordnungswidrigkeiten
(1) Verstöße gegen die §§ 2 bis 10 und 14 bis 16 stellen Ordnungswidrigkeiten nach
§ 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG dar und werden mit Geldbuße bis zu 25 000 Euro geahndet."
Gegen dieses Urteil wendet sich die Betroffene mit der mit einem Zulassungsantrag verbundenen Rechtsbeschwerde. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet insbesondere, dass § 19 der zur Tatzeit gültigen Niedersächsischen Corona-Verordnung dem Bestimmtheitsgebot nicht genüge.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag der Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Dannenberg (Elbe) vom 20. Juli 2021 zuzulassen, als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) und die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich der Vorsitzenden zu übertragen (§ 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG), weil bislang - soweit ersichtlich - keine obergerichtliche Entscheidung über die Verfassungsgemäßheit des § 19 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 ergangen ist. Die Erfordernisse der Entscheidungserheblichkeit, Klärungsbedürftigkeit und Abstraktionsfähigkeit dieser Rechtsfrage liegen vor (vgl. Seitz in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 80 Rn. 3 mwN). Aus den vorgenannten Gründen ist die Sache gemäß § 80a Abs. 3 OWiG vom Einzelrichter auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen.
III.
Die aufgrund der Zulassung gem. § 79 Abs. 1 S. ...