Entscheidungsstichwort (Thema)
Tilgungsreife und Privilegierung nach § 25 Abs. 2a StVG
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Berechnung der Zwei-Jahres-Frist des § 25 Abs. 2a StVG dürfen tilgungsreife, noch nicht gelöschte Voreintragungen nicht berücksichtigt werden.
2. Hat der Tatrichter den Zeitpunkt der früheren Entscheidung und deren Rechtskraft festgestellt, kann das Rechtsbeschwerdegericht den Rechtsfolgenausspruch im Hinblick auf die Antrittsfrist des § 25 Abs. 2a StVG in der Regel selbst gem. § 79 Abs. 6 OWiG korrigieren.
Normenkette
StVG § 25 Abs. 2 a, § 29 Abs. 1, 8
Verfahrensgang
AG Celle (Entscheidung vom 09.11.0201) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Celle vom 9. November 2012 unter Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unbegründet im Übrigen im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass das verhängte Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit dieser Entscheidung.
Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 200 € verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 25. Juni 2011 um 6.34 Uhr in der Gemeinde E. die Bundesstraße 214. Dabei überschritt er die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h - nach Abzug der Messtoleranz - um 48 km/h.
Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
1. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und gegen die Anordnung des Regelfahrverbots von einem Monat wendet. Insoweit war die Rechtsbeschwerde auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 OWiG zu verwerfen.
2. Jedoch hält die angefochtene Entscheidung der Überprüfung auf die Sachrüge hin nicht stand, soweit das Amtsgericht von der viermonatigen Antrittsfrist nach § 25 Abs. 2a StVG keinen Gebrauch gemacht hat.
Die - nicht im Ermessen des Gerichts stehende - Privilegierung des § 25 Abs. 2a StVG ist auszusprechen, wenn in den zwei Jahren vor der Ordnungswidrigkeit ein Fahrverbot nicht verhängt worden ist und auch bis zur Bußgeldentscheidung ein Fahrverbot nicht verhängt wird.
Der Beginn der Zwei-Jahres-Frist bemisst sich nach der Rechtskraft der früheren, ein Fahrverbot anordnenden Entscheidung (Hentschel-König, StVG, 41. Aufl., § 25 Rn. 30). Das Fristende knüpft nach seinem Wortlaut zwar an die Begehung der Ordnungswidrigkeit an. Dennoch dürfen Voreintragungen, bei denen die Frist bis zur Begehung der neuen Ordnungswidrigkeit noch nicht abgelaufen waren, bei denen zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung aber bereits Tilgungsreife nach § 29 Abs. 1, Abs. 4 StVG eingetreten ist, auch für die Entscheidung nach § 25 Abs. 2a StVG nicht zu Lasten des Betroffenen verwertet werden (KG, Beschl. v. 20.2.2004, 2 Ss 174/03, juris; OLG Dresden, DAR 2006, 161).
Die Entscheidung des Amtsgerichts Gifhorn vom 20. August 2009, rechtskräftig seit dem 18. Januar 2010, war zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung am 9. November 2012 tilgungsreif.
Eintragungen im Verkehrszentralregister wegen einer Ordnungswidrigkeit unterliegen einer Tilgungsfrist von zwei Jahren (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG). Diese beginnt bei Bußgeldentscheidungen mit dem Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit (§ 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG). Nach Eintritt der Tilgungsreife unterliegen Eintragungen nach herrschender obergerichtlicher Rechtsprechung gemäß § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG einem Verwertungsverbot; maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist der Tag der das neue Verfahren abschließenden tatrichterlichen Entscheidung. Das Verwertungsverbot gilt auch, wenn der neue Verstoß bereits vor Ablauf der Tilgungsfrist begangen wurde und die Eintragung zum Zeitpunkt der neuen Entscheidung wegen der Überliegefrist nach § 29 Abs. 7 StVG noch nicht gelöscht ist (OLG Braunschweig DAR 2008, 218; OLG München NStZ-RR 2008, 89; OLG Bamberg DAR 2007, 38; OLG Hamm NZV 2006, 487, 488; OLG Hamm VRS 111, 67, 69; KG DAR 2004, 101; OLG Naumburg VRS 100, 201, 203; OLG Köln NZV 2000, 430; Hentschel-Dauer, StVG, § 29 Rdnr. 12; Janker in: Jagow/Burmann/Heß, § 29 StVG Rdnr. 3, 17 m. w. N.; a. A. [wohl nur] AG Wolfratshausen NZV 2006, 488).
Der Senat konnte hier - wie erkannt - gem. § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst entscheiden, weil es sich um eine gebundene Entscheidung handelt und ausgeschlossen werden kann, dass eine neue Hauptverhandlung zu weiteren Erkenntnissen für die Rechtsfolgen im Übrigen führen würde. Die Entscheidung nach § 25 Abs. 2a StVG lässt sich innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs selbstständig beurteilen (OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1999, 61).
3. Angesichts des nur geringfügigen Erfolgs in der Rechtsbeschwerdeinstanz war es nicht unbillig i. S. d. §§ 79 Abs. ...