Leitsatz (amtlich)
Gegen die Ablehnung eines Antrags auf öffentliche Zustellung der Antragsschrift auf Anfechtung der Vaterschaft ist in analoger Anwendung der §§ 15 FamFG, 567 ff. ZPO die sofortige Beschwerde statthaft (vgl. BGH FamRZ 2015, 743 ff. [in Ehe- und Familienstreitsachen]).
Der Antragsteller in Abstammungsverfahren kann hinsichtlich der Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung nicht darauf verwiesen werden, selbst keine ausreichenden Nachforschungen zum Aufenthalt eines anderen Verfahrensbeteiligten und Zustellungsadressaten unternommen zu haben. Vielmehr folgt aus dem in Abstammungssachen geltenden Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG), dass dem Gericht - neben dem Antragsteller - eigene Ermittlungen und Überprüfungen obliegen (KG FamRZ 2018, 1923).
Verfahrensgang
AG Winsen/Luhe (Aktenzeichen 34 F 20/20) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Winsen (Luhe) vom 31. Januar 2022 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
II. Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Die Beteiligten tragen die ihnen im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst.
III .Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 1.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin ist die Mutter des am ... November 2019 geborenen Beteiligten zu 1. Dieser gilt als rechtlicher Sohn des Beteiligten zu 3, da er aus der Ehe der Antragstellerin und des Beteiligten zu 3 hervorgegangen ist. Der Beteiligte zu 3 ist demgemäß in der Geburtsurkunde (Standesamt W. G .../2020) als Vater des Beteiligten zu 1 eingetragen. Die Ehe der Beteiligten zu 2 und 3 wurde am ... November 2019 rechtskräftig geschieden.
Vorliegend begehrt die Antragstellerin die Anfechtung der Vaterschaft des Beteiligten zu 3 unter Vorlage eines privat eingeholten Abstammungsgutachtens, wonach die Vaterschaft eines Dritten "praktisch erwiesen" sei.
Der Beteiligte zu 3 hält sich nach Angaben der Antragstellerin vermutlich in der Türkei auf. Eine Zustellung der Antragsschrift im Wege der Rechtshilfe blieb erfolglos, da der Beteiligte zu 3 nicht unter der von der Antragstellerin mitgeteilten Anschrift wohnhaft ist.
Den Antrag der Antragstellerin auf öffentliche Zustellung der Antragsschrift hat das Amtsgericht - Familiengericht - Winsen (Luhe) mit Beschluss vom 31. Januar 2022 abgelehnt. Es hält die Durchführung der öffentlichen Zustellung für unzulässig, da die Antragstellerin weder dargelegt noch glaubhaft gemacht habe, dass sie ihre Möglichkeiten zu Nachforschungen bezüglich der Anschrift des Beteiligten zu 3 bei dessen Verwandten, Freunden oder Bekannten sowie bei den türkischen Behörden ausgeschöpft habe.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 15. Februar 2022. Sie führt an, als Privatperson bei türkischen Behörden keine Auskunft über die Anschrift des Beteiligten zu 3 erhalten zu können und keinen Kontakt zur Familie des Beteiligten zu 3 zu haben, die als einzige dessen Anschrift mitteilen könne.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung an das Amtsgericht.
1. Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde folgt aus der analogen Anwendung des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.
Einen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung der öffentlichen Zustellung sieht das Familienverfahrensrecht in den Bestimmungen des FamFG nicht vor.
Die Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung selbst bestimmt sich in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 15 Abs. 2 FamFG, der auf die §§ 166 bis 195 ZPO verweist, somit auch auf die in §§ 185 ff. ZPO geregelte öffentliche Zustellung. Auf die im Zivilprozess für Rechtsmittel gegen die Ablehnung einer öffentlichen Zustellung anwendbare Vorschrift des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO verweist § 15 FamFG nicht.
Als Zwischenentscheidung ist die Ablehnung eines Antrags auf öffentliche Zustellung auch nicht mit der Beschwerde (§§ 58 ff. FamFG) anfechtbar, da diese nur gegen Endentscheidungen im Sinne von § 38 FamFG statthaft ist, wenn nicht das Gesetz die Statthaftigkeit der Beschwerde ausdrücklich bestimmt, § 58 Abs. 1 FamFG. Anders als beispielsweise bei der Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs (§ 6 Abs. 2 FamFG) oder zur Frage der Rechtmäßigkeit der Anordnung von Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung (§ 178 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 387 Abs. 3 ZPO) nimmt das FamFG eine solche Bestimmung bzw. Bezugnahme für die Ablehnung der öffentlichen Zustellung nicht vor.
Der Bundesgerichtshof hat zumindest für Ehe- und Familiensachen entschieden, dass die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der öffentlichen Zustellung gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO analog zulässig ist und geht von einer versehentlichen Regelungslücke aus (BGH FamRZ 2015, 743 Rn. 14 ff.; ebenso: OLG Hamm, FamRZ 2013, 964 Rn. 17; OLG Köln, Beschluss vom 06.12.2010, Az. 16 Wx 88/10 Rn...