Entscheidungsstichwort (Thema)
Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeit: Gesetzliche Verpflichtung zum Führen einer sog. Lebensakte und zur dauerhaften Aufbewahrung von Reparatur- und Wartungsnachweisen bei Geschwindigkeitsmessgeräten. Darlegungslast des Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren bei Beanstandung der Ablehnung eines Gesuchs auf Einsichtnahme in die Lebensakte bzw. Reparatur- und Wartungsnachweise
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Verpflichtung zum Führen einer "Lebensakte" oder zur fortdauernden Aufbewahrung von Reparatur- und Wartungsnachweisen für Geschwindigkeitsmessgeräte ergibt sich weder aus § 31 Abs. 4 Nr. 2 MessEG noch aus anderen gesetzlichen Bestimmungen.
2. Reparatur- und Wartungsnachweise - auch für Geschwindigkeitsmessgeräte - sind nach § 31 Abs. 4 Nr. 2 MessEG für den Zeitraum von drei Monaten nach Ablauf des Eichzeitraums aufzubewahren. Diese Aufbewahrungspflicht besteht nicht nur für ungeeichte, sondern auch für geeichte Geschwindigkeitsmessgeräte (entgegen OLG Frankfurt NStZ-RR 2016, 320).
3. Die Bußgeldbehörde und das Tatgericht haben sich davon zu überzeugen, dass das Eichsiegel an dem verwendeten Geschwindigkeitsmessgerät zum Messzeitpunkt unversehrt war. Ist die Unversehrtheit belegt (z.B. durch eine entsprechende Eintragung im Messprotokoll oder durch zeugenschaftliche Angaben des Messbeamten), darf von einer ordnungsgemäßen Messung ausgegangen werden, sofern der Betroffene keine tatsachenfundierten Einwände erhebt.
4. Ist die Unversehrtheit des Eichsiegels festgestellt und hat die Bußgeldbehörde die Durchführung von Reparaturen oder Wartungen im maßgeblichen Eichzeitraum verneint, kann die Beanstandung des Betroffenen wegen der Ablehnung des Gesuchs auf Einsichtnahme in die "Lebensakte" oder in Reparatur- und Wartungsnachweise nur Erfolg haben, wenn er tatsachenfundiert vorträgt, dass entsprechende Maßnahmen stattgefunden haben und Nachweise hierzu vorhanden sind.
Normenkette
StPO §§ 147, 344 Abs. 2 S. 2; OWiG §§ 46, 79 Abs. 3 S. 1; MessEG § 31 Abs. 4 Nrn. 1-2; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Verden (Aller) (Entscheidung vom 31.03.2017) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Verden (Aller) vom 31. März 2017 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 OWiG).
Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
Ergänzend wird angemerkt:
1.
Die Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen im Hinblick auf den erfolglos gebliebenen Antrag seines Verteidigers auf Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung sowie in die "Lebensakte" und in das Reparaturbuch des bei der Ermittlung der dem Betroffen zur Last gelegten Abstandsunterschreitung verwendeten Messgeräts erweist sich als unzulässig. Sie ist nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erhoben worden.
Um die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge zu begründen, müssen gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die den Mangel enthaltenden Tatsachen so genau bezeichnet und vollständig angegeben werden, dass das Beschwerdegericht schon an Hand der Rechtsbeschwerdeschrift und ohne Rückgriff auf die Akten prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, falls die behaupteten Tatsachen zutreffen; eine Bezugnahme auf den Akteninhalt, auf Schriftstücke oder das Protokoll ist unzulässig (st. Rspr., vgl. Göhler, OWiG, 16. Auflage, Rd. 27d zu § 79 mwN).
Diesen Anforderungen wird vorliegend das Vorbringen der Rechtsbeschwerde nicht gerecht. Es erweist sich als lückenhaft. So werden der Inhalt der Verfügung der Bußgeldbehörde vom 05.01.2017 (Bl. 63 d.A.) sowie der Stellungnahme der Polizeiinspektion V./O. vom 18.12.2016 (Bl. 55f. d.A.) zu dem vom Verteidiger des Betroffenen angebrachten Akteneinsichtsgesuch vom 25.10.2016 (Bl. 37 ff. d.A.) und seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 28.11.2016 (Bl. 50f. d.A.) und darüber hinaus auch der Inhalt der Verfügung der Bußgeldbehörde vom 24.02.2017 (Bl. 69f. d.A.) nicht mitgeteilt. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war die entsprechende Mitteilung nicht entbehrlich, sondern für die Prüfung der Begründetheit der Verfahrensrüge durch den Senat erforderlich. Dies folgt daraus, dass die Bußgeldbehörde in den o.g. Verfügungen auf die ebenfalls oben angeführte polizeiliche Stellungnahme verwiesen und sich deren Inhalt ersichtlich zu Eigen gemacht hat. Ohne Kenntnis des Inhalts der polizeilichen Stellungnahme sowie der Verfügungen der Bußgeldbehörde vermag der Senat nicht zu prüfen, ob die Bußgeldbehörde die vom Verteidiger des Betroffenen begehrte Aktensicht mit zutreffenden rechtlichen Erwägungen abgelehnt und das Amtsgericht den deshalb gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung in dem Beschluss vom 20.03.2017 (Bl. 115 ff. d.A.) rechtsfehlerfrei zurückgewiesen hat.
Die Verfahrensrüge ist jedoch auch in der Sache unbegründet. Der Erörterung bedarf lediglich folgendes:
a)
Hinsichtlich der vom Verteidiger des Betroffenen in Laufe des Bußgeldverfahrens mehrfach begehrten Einsichtnahme...