Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es kann davon ausgegangen werden, dass ordnungsgemäß aufgestellte Vorschriftszeichen von Verkehrsteilnehmern in aller Regel wahrgenommen werden. Daher braucht die Möglichkeit, dass der Betroffene das Vorschriftszeichen übersehen hat, nur in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben. (im Anschluss an BGHSt 43, 241).

2. Bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen kann in der Regel von vorsätzlicher Begehungsweise ausgegangen werden, wobei dies nach der Rechtsprechung ab Überschreitungen von ca. 40 % angenommen wird. Bei niedrigeren Überschreitungen müssen weitere Indizien herangezogen werden, wie etwa das Vorliegen von mehreren Geschwindigkeitsüberschreitungen in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang.

 

Normenkette

OWiG §§ 10, 80 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

AG Soltau (Entscheidung vom 11.07.2013)

 

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Soltau vom 11.07.2013 wird zugelassen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG).

2. Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das Urteil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen (§ 80a Abs. 3 OWiG).

3. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Betroffene eines fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit schuldig ist und gegen ihn eine Geldbuße von 80,00 € verhängt wird. Die Feststellungen im angefochtenen Urteil zur vorsätzlichen Begehung werden aufgehoben.

4. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden dem Betroffenen auferlegt. Sie werden jedoch um 25 % ermäßigt. In dieser Höhe sind auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen von der Landeskasse zu erstatten.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 26 km/h zu einer Geldbuße von 160,00 € verurteilt. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 28.09.2012 mit einem Pkw BMW die Bundesautobahn 7 in Richtung H. mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 126 km/h, obwohl die Geschwindigkeit zuvor durch drei beidseitig aufgestellte Schilderpaare auf 100 km/h beschränkt worden war. Die Messung erfolgte mit dem Messgerät LEIVTEC XV 3 durch einen geschulten Messbeamten entsprechend den Herstellerangaben. Anhaltspunkte für eine Fehlmessung gab es nicht. Nach den Feststellungen nahm der Betroffene die Geschwindigkeitsüberschreitung mindestens bedingt in Kauf. Da der Betroffene drei Schilderpaare passiert habe, habe er nach der Überzeugung des Gerichts jedenfalls die letzte Wiederholungsbeschilderung auch bemerkt oder jedenfalls infolge länger andauernder völliger Unaufmerksamkeit billigend in Kauf genommen. Dass der Betroffene mit einer Geschwindigkeit gefahren sei, die mehr als 25 % über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gelegen habe, lasse auf eine jedenfalls bedingt vorsätzliche Begehungsweise schließen. Dem Betroffenen sei es nach der Überzeugung des Gerichts ohne weiteres möglich gewesen, seine Geschwindigkeit schon anhand der Fahrgeräusche des ihm vertrauten Fahrzeugs, der sonstigen Fahrgeräusche und/oder anhand der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung verändere, ausreichend zuverlässig zu schätzen und zu erkennen, dass er die erlaubte Geschwindigkeit wesentlich überschreite.

Gegen dieses Urteil wendet der Betroffene sich mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er hält die Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für geboten und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Mit seiner allgemein erhobenen Sachrüge stellt er das angefochtene Urteil insgesamt zur Nachprüfung, rügt aber insbesondere die Verurteilung wegen Vorsatzes.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag als unbegründet zu verwerfen, da es sich bei der Vorsatzfrage um Entscheidungen im Einzelfall handele.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und auf den Senat zu übertragen. Zwar ist die Frage des Vorliegens einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung in der Regel als eine solche des Einzelfalls anzusehen (KG, Beschluss v. 29.09.2000, 2 Ss 218/00, juris). Der Bußgeldrichter hat hier bei der Beurteilung der Frage, ob eine vorsätzliche Begehensweise vorliegt, jedoch gerade nicht anhand der Umstände des Einzelfalls entschieden, sondern einen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt, wonach daraus, dass der Betroffene mit einer Geschwindigkeit von mehr als 24 % über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren ist, auf eine bedingt vorsätzliche Begehungsweise geschlossen werden könne. Dies entspricht nicht der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung (siehe dazu unten 2.). Die Rechtsbeschwerde war daher zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und auf den Senat zu übertragen, zumal davon auszugehen ist, dass sich ähnliche Fallkonstellationen wiederholen können.

2. Die Rechtsbesch...

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