Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines Unternehmens für möglicherweise missverständliche Kapitalmarktinformationen und Pressemitteilungen im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien eines dritten Emittenten
Leitsatz (amtlich)
1. Die direkt vorsätzliche Verbreitung grob unrichtiger oder irreführender Kapitalmarktinformationen kann eine Verwerflichkeit nach § 826 BGB auch dann indizieren, wenn es sich bei diesen Informationen nicht um Ad-hoc-Mitteilungen handelt (Rn. 93 ff.).
2. Auch das vorsätzliche Unterlassen einer gebotenen Kapitalmarktinformation kann diese Verwerflichkeit indizieren, insbesondere, wenn die Informationspflicht offensichtlich war (Rn. 263 ff.).
3. Soweit Ersatzansprüche nicht an die aktive Veröffentlichung einer grob unrichtigen oder irreführenden Kapitalmarktinformation, sondern an die unterlassene Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung anknüpfen, ist die Haftung durch den Schutzzweck von § 15 WpHG a.F. begrenzt. Dieser erfasst - nur - Schäden im Zusammenhang mit Transaktionen von Insiderpapieren, die das zur Ad-hoc-Publizität verpflichtete Unternehmen emittiert hat (Rn. 252 ff.).
4. Der kartellrechtlich sachlich relevante Markt bei Unternehmensbeteiligungen umfasst grundsätzlich alle Unternehmensbeteiligungen bzw. Aktien, möglicherweise beschränkt insbesondere auf geographische Bereiche und die Art, in der die Anteile gehandelt werden. Eine engere Marktabgrenzung ist auch nicht in Ausnahmefällen vorzunehmen, in denen eine Vielzahl von Anlegern aufgrund ihrer eigenen Entscheidung darauf angewiesen sind, eine bestimmte Aktie innerhalb eines bestimmten engen Zeitraums zu erwerben (Rn. 571 ff.).
5. Kapitalmarktinformationen begründen grundsätzlich keine wettbewerbsrechtlichen Ansprüche (Rn. 594 ff.).
6. Eine Haftung nach § 37b WpHG a.F. setzt voraus, dass der Verpflichtete Kenntnis der Insiderinformation hatte oder diese aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Die Beweislastumkehr nach § 37b WpHG a.F. setzt voraus, dass der Gläubiger hinreichende Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass eine solche Kenntnis an irgendeiner Stelle im Unternehmen des Emittenten vorhanden gewesen sei oder hätte erlangt werden können, so dass sich das für die Erfüllung der Publizitätspflichten zuständige Organ mit organisatorischen Vorkehrungen selbst Kenntnis hätte verschaffen können (Rn. 607 ff.).
7. Im Aufsichtsrat des Emittenten vorhandenes Wissen ist dem für die Erfüllung von Publizitätspflichten zuständigen Organ nicht zuzurechnen, wenn die jeweiligen Mitglieder des Aufsichtsrats Dritten gegenüber gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (Rn. 629 ff.).
8. Im Kapitalanleger-Musterverfahren müssen die Feststellungsziele hinreichend bestimmt bezeichnen, welche Teilaussagen einer Kapitalmarktinformation fehlerhaft bzw. unvollständig sein sollen und im Hinblick auf welche einzelne Angabe bzw. Auslassung dies der Fall sein soll. Es ist demgegenüber nicht erforderlich und regelmäßig auch nicht sachdienlich, jeden einzelnen Umstand, der bei der Bewertung der möglichen Unrichtigkeit in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sein mag, in einem Feststellungsziel abzubilden. Das Gericht hat insoweit vielmehr innerhalb des durch die Feststellungsziele vorgegebenen Prüfungsrahmens auch weitere sich aus dem Parteivortrag ergebende Umstände zu berücksichtigen (Rn. 713 ff.).
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2, § 826; KapMuG § 15 Abs. 1 S. 1; WpHG §§ 13, 15, 15a, 20a, 37b, 37c
Verfahrensgang
LG Hannover (Beschluss vom 13.04.2016; Aktenzeichen 18 OH 2/16) |
Nachgehend
Tenor
Die Feststellungsziele VI.1.a, b., d. und e. werden als unzulässig zurückgewiesen. Die Feststellungsziele VI.2. bis 13. und VIII.4.c. werden soweit sie sich auf Äußerungen beziehen, die den vorgenannten Feststellungszielen zu Grunde liegen, als unzulässig zurückgewiesen; im Übrigen werden die Feststellungsziele VI.5., 8.a. bis 13. und VIII.4.c. als unbegründet zurückgewiesen.
Die Feststellungsziele
I.1.,
II.3. bis 4., 7.a., 8., 10. und 11.,
III.5., 5.a., 5.c. bis 9.,
IV.5., 8a. bis 13.,
V.3., 4., 7.a. bis 11.,
VII.5., 8.a. bis 13.,
VIII.4.a und b.,
XI.1. bis 3., 5. bis 8. sowie
XII.2. bis 4., 6. und 7.
werden zurückgewiesen.
Die Feststellungsziele III.3., IV.1., VI.1.c. und VII.1 werden insoweit zurückgewiesen, als sie auf die Feststellung gerichtet sind, die jeweils in Bezug genommenen Mitteilungen seien grob fehlerhaft oder irreführend gewesen. Das Feststellungsziel VII.1. wird auch im Hinblick auf die festzustellende Zielsetzung zurückgewiesen, die Pressemitteilung vom 26. Oktober 2008 hätte darauf abgezielt, einen weiteren Kursverfall zu verhindern und dadurch weitere Verluste zu vermeiden.
Die Feststellungsziele III.4., IV.2., VI.2. (soweit nicht bereits unzulässig) und VII.2. werden betreffend die Musterbeklagte zu 1 insoweit zurückgewiesen, als sie auf die Feststellung gerichtet sind, die Musterbeklagten hätten Kenntnis von der vermeintlichen groben Unr...