Leitsatz (amtlich)
Eine Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist gegeben, wenn eine Vergabestelle eine Auftragsvergabe ohne förmliches Vergabeverfahren beabsichtigt, obwohl ein Vergabeverfahren hätte durchgeführt werden müssen. Insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller darlegt, durch den behaupteten Verstoß gegen Vorschriften des Vergaberechts an der Abgabe eines Angebots und der Erlangung des Auftrags gehindert gewesen zu sein. Hohe Anforderungen an den Konkretisierungsgrad dürfen dabei nicht gestellt werden.
Normenkette
GWB §§ 99-100, 101b, 102, § 102 ff., § 107 Abs. 2-3, § 114 Abs. 2 S. 2, § 123 S. 3; RettDG ND § 4 Abs. 6 S. 2, § 5 Abs. 1-2; VOLA2 § 1 Abs. 3
Verfahrensgang
VK Niedersachsen (Beschluss vom 18.07.2014; Aktenzeichen VgK 19/14) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 18.7.2014 (VgK19/2014) wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 1 und 2.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 600.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsgegner ist Träger des Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich E., in dem insgesamt 11 Standorte mit Rettungswachen eingerichtet sind. Die Rettungsdienstleistungen an den einzelnen Standorten werden bisher von den beiden Beigeladenen ausgeführt.
Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft im Konzernverbund der dänischen F. A/S, die weltweit private Rettungsdienstleistungen anbietet. Die Antragstellerin hatte mit Schreiben vom 17.11.2010 gegenüber dem Antragsgegner ihr Interesse an öffentlichen Ausschreibungen für Leistungen des Rettungsdienstes (Notfallrettung und/oder Krankentransport) erklärt. Mit Antwortschreiben vom 13.1.2011 hat der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin angekündigt,
"dass Umsetzungen rettungsdienstlicher Veränderungen wesentlicher Art in meinem Rettungsdienstbereich in einem dem Urteil des EuGH vom April 2010 Rechnung tragenden Vergabeverfahren erfolgen würden."
Der Antragsgegner hat im Jahr 2013 die vorhandene Rettungsdienstinfrastruktur an den einzelnen Standorten untersucht und auf dieser Grundlage den Entwurf eines "Bedarfsplan für den Rettungsdienstbereich des Landkreises E. 2014" erstellt, nach dem ein bedarfsgerechter Rettungsdienst im Rettungsdienstbereich zusätzliche Rettungswagen an einzelnen Standorten sowie die Erweiterung der Besetztzeiten für einzelne Rettungswagen ebenso bedürfe wie zusätzliche Krankentransportwagen an drei Standorten mit veränderten Besetztzeiten der vorhandenen Krankentransportwagen. Der personelle Mehraufwand wurde insgesamt mit ca. 90.000 zusätzlichen Personalstunden bzw. 49 Vollzeitstellen bei jährlichen Mehrkosten von ca. 3 Mio. EUR geschätzt.
Der Antragsgegner hat am 8.5.2014 eine Sitzungsvorlage für den Feuerschutzausschuss, den Kreisausschuss und den Kreistag auf Grundlage des Entwurfes des Bedarfsplans erstellt. In der Sitzungsvorlage heißt es u.a.:
"Der vorliegende Bedarfsplan für den Rettungsdienstbereich des Landkreises E. ist im Vorfeld mehrfach mit dem langjährigen ärztlichen Leiter im Rettungsdienst (ÄLRD), Herrn Dr. H., den beauftragten Hilfsorganisationen (den Beigeladenen) intensiv beraten und mit den Kostenträgern am 6.2.2014 und 27.2.2014 erörtert worden. Sowohl der Ärztliche Leiter Rettungsdienst als auch die Hilfsorganisationen haben den Prozess konstruktiv begleitet und den vorliegenden Entwurf mit seinen Maßnahmen als richtigen Schritt zur Optimierung des Rettungsdienstes erachtet."
Über die Sitzung des Feuerwehrausschusses berichtete die N. O. Zeitung mit einem Artikel vom 23.5.2014, in dem es u.a. heißt:
"Damit das neue Konzept umgesetzt werden kann, müssen DRK und MHD die Mitarbeiterzahl von bislang 162 Kräften um 35 Stellen in der Notfallrettung und 14 Stellen im Krankentransport drastisch aufstocken. Nach Angaben von B. (dem zuständigen Dezernenten des Antragsgegners) wurde das Konzept mit den Beauftragten der beiden Hilfsorganisationen sowie dem leitenden Notarzt im E., W. H., bestimmt."
Daraufhin hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 28.5.2014 erneut ihr Interesse an Ausschreibungen im Bereich des Rettungsdienstes erklärt und die direkte Vergabe der erforderlichen zusätzlichen Rettungsdienstleistungen ohne Ausschreibung an die Beigeladenen gerügt. Mit Schreiben vom 6.6.2014, abgesandt am 10.6.2014, antwortete der Antragsgegner dahingehend, dass eine Entscheidung über die Bedarfsveränderung noch ausstehe und dass erst nach der insoweit maßgeblichen Entscheidung des Kreistages etwaige Umsetzungsschritte zu planen seien.
Nachdem die Antragstellerin mit Anwaltsschreiben vom 10.6.2014 eine De-Facto-Vergabe gerügt hat, hat sie am 16.6.2014 einen Nachprüfungsantrag gestellt, mit dem sie das Ziel verfolgt, festzustellen, dass sie durch die De-Facto-Vergabe in ihren Rechten verletzt ist, die tatsächliche Beauftragung im Berei...