Verfahrensgang
LG V. (Urteil vom 25.10.2012; Aktenzeichen 5 O 354/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25.10.2012 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG V. geändert.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 65.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.3.2011 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin künftige materielle Schäden und derzeit nicht vorhersehbare immaterielle Schäden zu ersetzen, die ihr aufgrund der fehlerhaften Aufklärung anlässlich ihrer Geburt am ... Juni 20.. entstehen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin vorprozessuale Anwaltskosten i.H.v. 2.776,98 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.11.2011 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Beklagten.
Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz (mind. 65.000 EUR Schmerzensgeld, Feststellung der Einstandspflicht für künftige materielle und derzeit nicht vorhersehbare immaterielle Schäden sowie vorgerichtliche Anwaltskosten) wegen eines Geburtsschadens, nämlich einer Plexusparese des rechten Arms infolge einer Schulterdystokie.
Die Kindesmutter (geb. 1971) erlitt am ... Juni 20.. morgens - ca. 4 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin am 17.7.2010 - einen Blasensprung und suchte deshalb das Krankenhaus W. auf, wo sie gegen 11:00 Uhr aufgenommen wurde. Im Verlauf des Nachmittags nahmen die Wehen zu und der Muttermund weitete sich. Eine der Kindesmutter gegen 16:36 Uhr von der Hebamme B. angebotene PDA lehnte diese ab. Als sich die Schmerzen weiter steigerten, wurde der Beklagte zu 2 hinzugezogen. Auch er bot gegen 22:15 Uhr erfolglos eine PDA an.
Wegen Geburtsstillstandes kam es gegen 23:25 Uhr zum Versuch einer Forceps-Entbindung. Nach der Entwicklung des Kopfes folgte der Rumpf allerdings nicht. Es lag eine Schulterdystokie vor, die der Beklagte zu 2 und die Hebamme R. nach zweimaligem erfolglosem McRoberts-Manöver schließlich von innen (Hebamme) lösten. Die Klägerin wog 3.600g, hatte einen Kopfumfang von 34 cm und eine Länge von 54 cm. Es zeigte sich eine Plexusschädigung des rechten Arms, die mehrfach chirurgisch behandelt wurde. Alle aus der Wirbelsäule austretenden und in den Armplexus einmündenden Nervwurzeln waren geschädigt, die drei Nervwurzeln C 5 - C 7 gezerrt bzw. zerrissen.
Mit Schriftsatz vom 11.2.2011 verlangte die Klägerin von den Beklagten unter Fristsetzung bis zum 26.3.2011 erfolglos die Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 65.000 EUR.
In erster Instanz hat die Klägerin gegen die Beklagten folgende Vorwürfe erhoben:
- Über den Nutzen einer PDA für Mutter und Kind sei unzureichend aufgeklärt worden.
- Es hätte eine Sectio angeboten und durchgeführt werden müssen, zumal unstreitig bereits am 14.6.2010 (35 SSW + 2) eine Tendenz zu fetaler Makrosomie festgestellt (damaliges Schätzgewicht über 3.000g) und eine vorzeitige Geburtseinleitung empfohlen worden war.
- Sowohl im Falle einer PDA als auch im Falle einer Sectio wäre die Schulterdystokie vermieden worden.
- Die daraus hervorgegangene (schwerste) Plexusschädigung sei dauerhaft; eine vollständige Wiederherstellung sei ausgeschlossen.
Die Klägerin hat beantragt (Bl. 2 d.A.),
1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.3.2011 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr künftige materielle Schäden und derzeit nicht vorhersehbare immaterielle Schäden zu ersetzen, die ihr aufgrund der fehlerhaften Behandlung/Aufklärung zwischen dem 23.2.2010 und 21.6.2010 entstehen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, übergehen werden oder übergehen würden,
3. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie vorprozessuale Anwaltskosten zu zahlen von 2.776,98 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
Die Beklagten haben beantragt (Bl. 24 d.A.), die Klage abzuweisen.
Sie haben die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen und geltend gemacht:
- Die Kindesmutter sei bereits bei einer - unstreitig - von ihr im Kranken haus W. wahrgenommenen vorgeburtlichen Info-Veranstaltung am 23.2.1920.. (Mutter-Vater-Abend) darauf hingewiesen worden, dass durch eine PDA auch ein erschwerter Geburtsverlauf verhindert werden könne. Ganz in diesem Sinne sei die Kinde...