Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 21.05.2012; Aktenzeichen 19 O 182/07)

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das am 21. Mai 2012 verkündete Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert:

  1. Die Beklagte wird unter Klagabweisung im Übrigen verurteilt, an den Kläger zu 1 ein Schmerzensgeld in Höhe von 70.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.07.2007 zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zu 1 allen vergangenen und künftigen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm daraus erwachsen ist, dass es bei seiner Geburt am 11.11.2004 in der Frauenklinik der Beklagten nach Vakuum-Extraktion zu einer linksseitigen Armplexusparese mit Horner-Syndrom, Kiss-Syndrom, einer psychosomatischen Retardierung sowie einer Sprachentwicklungsverzögerung mit Dyslalie gekommen ist, soweit die Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger, Sozialhilfeträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
  3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zu 1 allen derzeit nicht absehbaren weiteren immateriellen Schaden infolge des vorstehend bezeichneten Ereignisses zu ersetzen.
  4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 2 ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.07.2007 zu zahlen.
  5. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 2 allen vergangenen und künftigen materiellen Schaden zu ersetzen, der infolge ihrer geburtshilflichen Behandlung am 11.11.2004 entstanden ist und noch entstehen wird, soweit die Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger, Sozialhilfeträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
  6. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 2 allen künftigen, derzeit nicht absehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr infolge der geburtshilflichen Behandlung am 11.11.2004 noch entstehen wird.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 167.600 EUR

 

Gründe

A)

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst auf das angefochtene Urteil verwiesen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Mit der Berufung verfolgen die Kläger zum Einen ihre Ansprüche aus einer Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten weiter. Sie machen geltend, die Beklagte habe den Beweis für das Vorliegen der Voraussetzungen einer mutmaßlichen Einwilligung der Klägerin zu 2 nicht geführt. Zu Unrecht habe das Landgericht eine solche mutmaßliche Einwilligung angenommen; dabei habe es die Beweislast – zu Ungunsten der Kläger – verkannt. Da das Landgericht nicht habe feststellen können, dass die Klägerin zu 2 nicht in der Lage gewesen sei, eine Aufklärung verständig entgegenzunehmen, sei der Eingriff nicht durch eine mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt, auf die sich die Beklagte zudem nicht berufen hätte. Im Übrigen habe sich das Landgericht nur mit dem Zeitraum unmittelbar nach Eintritt der Schulterdystokie befasst; es habe jedoch Feststellungen zu einer Aufklärungsfähigkeit der Klägerin zu 2 im Zeitraum davor, insbesondere ab 08:40 Uhr, nicht getroffen. Die Kläger machen geltend, infolge des seit geraumer Zeit bestehenden Geburtsstillstandes sei jedenfalls ab 08:40 Uhr ein Zustand eingetreten, bei dem die Behandlungsalternative der Sectio wenigstens in Betracht kam; darüber hätte die Klägerin zu 2 aufgeklärt werden müssen. Dies gelte umso mehr, als – aufgrund einer unterlassenen Untersuchung der Klägerin – unklar geblieben sei, worauf der Geburtsstillstand beruhte. Im Übrigen habe sich ein Geburtsstillstand schon um 04:54 Uhr abgezeichnet, sodass die Klägerin zu 2 bereits ab 06:00 Uhr darüber hätte aufgeklärt werden müssen, dass sich im weiteren Verlauf der geburtshilflichen Behandlung die Notwendigkeit einer operativen Geburtsbeendigung auch durch Sectio ergeben konnte. Die unterlassene Aufklärung sei zudem ursächlich für den bei den Klägern eingetretenen Schaden geworden: Einerseits habe sich die Beklagte nicht auf eine hypothetische Einwilligung berufen; andererseits sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass die tatsächlich beim Kläger zu 1 eingetretene Armplexus-Schädigung intrauterin, d. h. ohne vorausgehende Schulterdystokie, nicht entstanden wäre. Auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang sei gewahrt, da es an einer Aufklärung gänzlich fehle, damit eine Haftung der Beklagten auch für solche Risiken eingetreten sei, die nicht aufklärungsbedürftig seien. In diesem Zusammenhang vertret...

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