Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter; Unfall auf gemeinsamer Betriebsstätte
Leitsatz (amtlich)
1. Aus einem Werkvertrag ergibt sich regelmäßig die vertragliche Nebenpflicht des Unternehmers, auch die körperliche Unversehrtheit des Bestellers und seiner Mitarbeiter zu schützen.
2. Die Haftung des Werkunternehmers für das Verhalten der von ihm eingeschalteten Unternehmen gem. § 278 BGB kann sich insb. daraus ergeben, dass er diesem Unternehmen die Aufgaben eines "Koordinators" für die Einhaltung arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften überträgt.
3. Aus dem Zusammenhang mit dem Arbeitsschutzgesetz folgt die drittschüzende Wirkung der sich aus der BaustellenVO (insb. §§ 3, 4) ergebenden Pflichten; diese nehmen insb. den Schutz der Mitarbeiter des Arbeitgebers bzw. Bauherrn in den Blick.
4. Der Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 SGB VII (Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte) kommt nur einem versicherten Unternehmer zugute, der selbst eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit auf dieser Betriebsstätte verrichtet und dabei den Versicherten eines anderen Unternehmens verletzt.
5. Das Merkmal einer "gemeinsamen Betriebsstätte" i.S.d. § 106 Abs. 3, Var. 3 SGB VII ist erfüllt, wenn betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen vorliegen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich der Geschädigte lediglich zum Zweck der Besichtigung auf der Baustelle aufhält, sich also etwa über den Baufortschritt informieren will, ohne in Abstimmung mit anderen Beteiligten besondere Aufgaben (Einfluss auf den Fortgang der Arbeiten, Einschaltung in deren Planung oder Ausführung) wahrzunehmen.
Normenkette
BGB § 278; ArbeitsschutzG § 13; BaustellenVO §§ 3-4; SGB VII § 106 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 20.08.2003; Aktenzeichen 11 O 4065/01) |
Tenor
Die Berufungen der Beklagten gegen das am 20.8.2003 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Hannover werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die Vollstreckung seitens der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst auf das Urteil des LG Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
Mit der Berufung macht die Beklagte zu 1) geltend, sie sei nicht aufgrund eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zum Schadensersatz verpflichtet; dessen Voraussetzungen habe das LG zu Unrecht angenommen. Die Beklagten hätten ihre Sorgfaltspflichten nicht verletzt; insb. aus den vorgelegten Baustellenberichten ergebe sich, dass die Baustellensicherheit umfassend geprüft und dokumentiert worden sei. Das Seil sei nicht schadhaft gewesen, wenn es auch möglicherweise "kleinere Kratzspuren" aufgewiesen habe. Jedenfalls sei eine Schadhaftigkeit nicht erkennbar gewesen. Unter Berufung auf die VBG 74 meint die Beklagte zu 1), eine Sicherung der Leiter sei nur dann erforderlich gewesen, wenn von ihr aus Arbeiten durchgeführt worden wären; die vom LG geforderten Sicherungsmaßnahmen wären mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden gewesen. In Ergänzung der Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 11.2.2004 hat die Beklagte zu 1) mit Schriftsatz vom 13.2.2004 vortragen lassen, die Geschädigte W. habe an einer Amnesie gelitten; es sei davon auszugehen, dass sie "die Bewusstlosigkeit vor Betreten der Leiter verloren und in deren Folge hinuntergefallen" sei.
Die Beklagte zu 2) vertritt die Auffassung, aus vertraglichen Gesichtspunkten könne sich eine Haftung der Beklagten zu 1) und 2) nicht ergeben, da allein der werkvertragliche Erfolg - die Erstellung eines Brückenbauwerks - geschuldet sei. Zudem hätten die Beklagten zu 1) und 2 die Verkehrssicherungspflicht auf den Beklagten zu 3) übertragen. Der Vorwurf eines Verschuldens bei der Auswahl und Überwachung des Beklagten zu 3) könne den Beklagten zu 1) und 2) nicht gemacht werden; dies ergebe sich im Übrigen aus dem Inhalt der zahlreichen Begehungsprotokolle, aus denen ersichtlich sei, dass die Baustelle von deren Mitarbeitern regelmäßig kontrolliert worden sei. Auch der Beklagte zu 3) sei seiner Überwachungspflicht nachgekommen, da er noch ca. 30 Minuten vor dem Unfall die Leiter selbst bestiegen und keine Sicherheitsmängel festgestellt habe. Im Übrigen hafte die Beklagte zu 2) nicht für ein Verhalten des Beklagten zu 3), sondern lediglich für ein Verschulden bei seiner Auswahl. Eine Pflicht zum Anbinden der Leiter habe nicht bestanden. Das Seil sei nicht schadhaft gewesen; zudem sei nicht nachgewiesen, dass das vom Sachverständigen begutachtete Seil tatsächlich das vormals angebundene Seil sei. Der Unfall sei vielmehr auf das...