Leitsatz (amtlich)
1. Die Zulässigkeit einer Berufung setzt voraus, dass ihre Berufungsbegründung auf den konkreten Streitfall zugeschnitten ist.
2. Ob eine Berufungsbegründung, die im Rahmen eines "Massenverfahrens" ersichtlich zur vielfachen Verwendung in verschiedenen Verfahren vorgesehen und im Wesentlichen aus Textbausteinen zusammengesetzt ist, den diesbezüglich bestehenden Anforderungen standhält, ist im Einzelfall zu prüfen.
3. Der bloße objektive Umstand des Vorliegens eines "Kontrollverlustes" ist als solcher allein noch nicht ausreichend, um einen immateriellen Schaden i.S.v. Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu begründen.
4. Das vorstehend unter Ziffer 3 dargestellte Ergebnis ergibt sich allerdings nach der Einschätzung des Senats aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nicht eindeutig. Dies bedingt es aus Sicht des Senats, in dem vorliegenden Verfahren die Revision zuzulassen.
5. Der Umstand, dass die Klagepartei in ihren Schriftsätzen Tatsachenvortrag hält, den die sie vertretenen Prozessbevollmächtigten wortwörtlich in gleicher Weise in diversen weiteren Parallelverfahren für andere von ihnen vertretene Klageparteien halten, steht der Schlüssigkeit dieses Vorbringens nicht entgegen und kann allenfalls im Rahmen einer diesbezüglichen Beweiswürdigung mit bedacht werden.
6. Zur - etwaigen - Höhe eines immateriellen Schadensersatzanspruches nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO, der allein auf den objektiven Umstand eines "Kontrollverlustes" als solchen gestützt wird.
Normenkette
DSGVO Art. 82 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1, § 520 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2-3
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Aktenzeichen 3 O 74/22) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 24. Januar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das vorgenannte Urteil des Landgerichts abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für die Berufungs- sowie für die erste Instanz - jeweils in Abänderung des Senatsbeschlusses vom 23. Januar 2024 - wird auf 2.100,00 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Der Kläger begehrt Schadensersatz, Unterlassung, Feststellung und Auskunft aus Anlass eines sog. "Datenscraping-Vorfalls" bei der Beklagten, die Betreiberin des sozialen Netzwerks F. ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der darin gestellten Anträge wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht - das den Kläger nicht persönlich nach § 141 ZPO angehört hat - hat dem Kläger einen immateriellen Schadensersatz in Höhe von 300,00 EUR zugesprochen sowie dem Feststellungsantrag des Klägers stattgegeben. Hinsichtlich des Unterlassungs- sowie des Auskunftsantrages hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte gegen die Regelungen in Art. 25 Abs. 1 und 2 DSGVO verstoßen habe. Dadurch habe der Kläger einen konkreten ersatzfähigen immateriellen Schaden erlitten, nämlich einen erheblichen Kontrollverlust über seine personenbezogenen Daten durch die Offenbarung seiner Telefonnummer. Aus diesem Grund brauche die Kammer der Behauptung des Klägers, dass er unter psychischen Beeinträchtigungen wie einem Unwohlsein leide, nicht nachzugehen. Der Höhe nach erscheine ein Schadensersatz in Höhe von 300,00 EUR als angemessen. Der - zulässige - Feststellungsantrag sei im tenorierten Umfang begründet. Im Hinblick auf das festgestellte Schadensereignis sei er zu präzisieren gewesen, weil er ansonsten zu weit gefasst gewesen wäre. Die Möglichkeit künftiger materieller Schäden sei zu bejahen. Diese Möglichkeit folge daraus, dass nicht absehbar sei, welche Dritte möglicherweise Zugriff auf die Daten erhalten haben und für welche kriminellen Zwecke diese möglicherweise missbraucht werden. Ein Unterlassungsanspruch stehe dem Kläger hingegen nicht zu. Ein solcher Anspruch scheitere bereits an der Sperrwirkung der DSGVO. Der Auskunftsantrag sei durch Erfüllung erloschen.
Wegen der diesbezüglichen Begründung im Einzelnen wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts.
Dagegen richten sich die Berufungen beider Parteien, wobei der Kläger seine erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt, soweit das Landgericht diesen nicht stattgegeben hat, und die Beklagte ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Wegen der diesbezüglichen Begründung im Einzelnen wird Bezug genommen auf die jeweiligen Berufungsbegründungen der Parteien sowie deren weiteren in der Berufungsinstanz eingereichten Schriftsätze.
Der Kläger beantragt,
das am 25.01.2023 zugestellte Urteil des Landgerichts Lüneburg (3 O 74/22) tei...