Entscheidungsstichwort (Thema)

Schmerzensgeldbemessung bei Verkehrsunfall mit Todesfolge

 

Leitsatz (amtlich)

Einem Geschädigten, der durch einen Verkehrsunfall eine schwere Kopfverletzung erleidet, mehrere Tage nach dem Unfall bei Bewusstsein und ansprechbar ist, infolge von anschließenden Hirninfarkten aber ein Schwerstpflegefall wird und sich in keiner Weise mehr verständigen kann und schließlich nach einem Zeitraum von rund vier Monaten verstirbt, kann ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro zustehen. Der Schmerzensgeldanspruch geht gemäß § 1922 BGB auf die Erben des Verstorbenen über.

 

Normenkette

BGB §§ 253, 1922; ZPO § 287

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 21.04.2020; Aktenzeichen 20 O 33/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 21. April 2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover ≪20 O 33/18≫ teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger 5.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. März 2018 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Kläger zu 90 % und die Beklagte zu 10 %; die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger zu 83 % und die Beklagte zu 17 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.000,00 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Kläger begehren als Erben der verstorbenen H. P. in der Hauptsache weiteres Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall im Jahr 2015, bei dem Frau P. schwer verletzt wurde und in dessen Folge sie letztlich rund viereinhalb Monate später verstarb. Die alleinige Haftung der Unfallgegnerin, der Versicherungsnehmerin der Beklagten, steht dem Grunde nach außer Streit. Die Beklagte erbrachte vorprozessual eine Zahlung von 25.000,00 Euro, welche die Kläger im erklärten Einverständnis der Beklagten auf den Schmerzensgeldanspruch verrechneten. Die Parteien streiten um die Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes.

Gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlichen Anträge auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit am 21. April 2020 verkündeten Urteil hat das Landgericht nach Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dem erstinstanzlich teilweise streitigen Umfang der Verletzungen und Verletzungsfolgen bei der Geschädigten der Klage zum überwiegenden Teil stattgegeben und ein weiteres Schmerzensgeld von 30.000 Euro (55.000 Euro abzüglich bereits gezahlter 25.000 Euro) zzgl. Zinsen zuerkannt; im Übrigen ist die Klage - neben dem darüber hinaus begehrten Schmerzensgeld insbesondere die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten betreffend - abgewiesen worden. Zur Begründung seiner teilweise klagstattgebenden Entscheidung führt das Landgericht im Wesentlichen aus, unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Art und Dauer der von der Geschädigten erlittenen Verletzungen, sei ein Schmerzensgeld von insgesamt 55.000,00 Euro angemessen, um vor allem der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes gerecht zu werden. Wegen der Einzelheiten der Erwägungen des Landgerichts zur Höhe des Schmerzensgeldes wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (LGU S. 6 bis 10) verwiesen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt, soweit sie vor dem Landgericht unterlegen ist. Sie macht insbesondere geltend, das Landgericht habe bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht hinreichend die verhältnismäßig kurze Überlebensdauer der Geschädigten und den Umstand berücksichtigt, dass Frau P. durch die rund zwölf Tage nach dem Unfall aufgetretenen Hirninfarkte schwer bewusstseinsgestört gewesen sei, mithin Schmerzen nicht bei vollem Bewusstsein wahrgenommen habe. Ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 55.000,00 Euro sei in Ansehung der Rechtsprechung zu vergleichbaren Verletzungsbildern nicht zu rechtfertigen. Die Beklagte verweist dazu im Einzelnen auf mehrere Entscheidungen, die jeweils ebenfalls einen Fall von Verletzungen mit Todesfolge betreffen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LG Hannover vom 21.04.2020 (20 O 33/18) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die Entscheidung des Landgerichts gegen die Angriffe der Berufung.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten S...

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