Leitsatz (amtlich)

1. Dass ein 3-jähriges Kind in behüteten Verhältnissen lebt, kann sich nicht schmerzensgeldmindernd auswirken.

2. Es spielt auch eine untergeordnete Rolle, ob ein 3-jähriges Kind verstanden hat, warum es nach einem Unfall im Krankenhaus war.

3. 20.000 Euro Schmerzensgeld bei folgenden Verletzungen und Unfallfolgen:

  • Oberschenkelfraktur; Prellung linke Schulter und des anderen Oberschenkels; große Skalpierungsverletzung und großflächige Hautabschürfungen,
  • 4 Wochen stationäre Behandlung mit dauerhaftem Liegen im Streckverband mit nach oben gerichteten Beinen; gut 23 cm lange verheilte Narbe ist geblieben.
 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Urteil vom 15.07.2003; Aktenzeichen 9 O 108/03)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 15.7.2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des LG Lüneburg abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 5.000 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.7.2002 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche noch entstehenden materiellen Schäden, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen werden, sowie sämtliche zukünftigen immateriellen Schäden, soweit sie noch nicht sicher vorhersehbar sind, aus dem Verkehrsunfall vom 27.5.1999 zu ersetzen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt, nämlich für den Schmerzensgeldantrag auf 5.000 Euro und für den Feststellungsantrag auf 2.500 Euro.

 

Gründe

I. Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des LG Lüneburg vom 15.7.2003 (Bl. 76 ff. d.A.) Bezug genommen. Mit der Berufung verfolgt der Kläger unter Rüge von Ermessensfehlern den erstinstanzlich geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch i.H.v. 5.000 Euro weiter und erweitert die Klage um einen Feststellungsantrag. Gegen die Abweisung des bezifferten Schadensersatzanspruchs i.H.v. 244,14 Euro wendet er sich nicht.

Der Kläger beantragt, unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein weiteres, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gesetztes, Schmerzensgeld (5.000 Euro) nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.7.2002 zu zahlen und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II. Die Berufung ist begründet.

1. Dem Kläger steht zum Ausgleich der Verletzungen aus dem Verkehrsunfall vom 27.5.1999 ein weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 5.000 Euro zu. Unter Berücksichtigung der vorprozessual gezahlten 15.000 Euro ergibt sich ein Gesamtbetrag i.H.v. 20.000 Euro, der zum Ausgleich der unfallbedingten Gesundheitsschäden gerechtfertigt ist. Die Entscheidung des LG, wonach bereits die gezahlten 15.000 Euro einen angemessenen Ausgleich darstellen, ist ermessensfehlerhaft.

a) Das Urteil enthält teilweise nicht tragfähige Erwägungen zur Höhe des Schmerzensgeldes. So lässt sich der Formulierung, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Kläger um einen im Zeitpunkt des Unfalls 3-jährigen Jungen gehandelt habe, für den der Aufenthalt im Krankenhaus einerseits unverständlich sei, weil er den Ursachenzusammenhang noch nicht in derselben Form wie ein Erwachsener begreifen könne, dem andererseits aber durch seine Eltern die Zeit im Krankenhaus erträglich gemacht worden sei, entnehmen, dass sich diese Gesichtspunkte schmerzensgeldmindernd ausgewirkt haben. Richtigerweise ist es jedoch allenfalls von untergeordneter Bedeutung, ob der Kläger verstanden hat, weshalb er solange im Krankenhaus sein musste. Entscheidend ist, dass es sich um einen 4-wöchigen Aufenthalt handelte, und zwar unter Umständen, die man wohl kaum nur als eine „missliche und unbequeme Lage” beschreiben kann, sondern in Anbetracht der als Anlage K 1 zur Klage eingereichten Fotografien (Bl. 11 d.A.) nur als Tortur. Die Besuche der Eltern sind für die Höhe des Schmerzensgeldes nicht relevant, weil es den Schädiger nicht entlasten kann, zufälligerweise jemanden zu schädigen, der in behüteten Verhältnissen lebt und sich deshalb der Fürsorge und Anteilnahme seiner Familie und Freunde gewiss sein kann. Alles andere würde zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, dass ein sozial gut eingebundener Geschädigter generell weniger Schmerzensgeld erhielte als eine kontaktarme Person ohne entspr. Anteilnahme und Hilfe im Schadensfall.

b) Das LG hat zudem den Unfallhergang unberücksichtigt gelassen. Zwar heißt es im zweiten Absatz der Entscheidungsgründe (LGU Bl. 3, Bl. 77 d.A.), bei der Festsetzung des...

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