Leitsatz (amtlich)

Zwar ist die Rechtsprechung, wonach ein Unternehmer bei Tiefbauarbeiten an öffentlichen Verkehrsflächen vor Beginn der Arbeiten sich eingehend mit der Frage des Vorhandenseins unterirdisch verlegter Leitungen zu befassen hat, wobei an die Erkundigungs- und Sicherungspflichten hohe Anforderungen gestellt werden, nicht unmittelbar einschlägig, wenn ein Unternehmer keine eigentlichen Tiefbauarbeiten im Sinne von Ausgrabungsarbeiten durchgeführt, sondern Erdarbeiten im oberflächlichen Bereich. Benutzt er allerdings bei den Erdarbeiten einen Bagger, der ein schweres Kettenlaufwerk hat und dessen Schaufel beim Arbeiten zwangsläufig mit den oberen Schichten des Erdreichs in Berührung kommt, ist der allgemeine Grundsatz beachtlich, dass bei Arbeiten mit schwerem Gerät sichergestellt werden muss, dass es nicht zu Beschädigungen am Eigentum Dritter kommt.

 

Verfahrensgang

LG Hildesheim (Urteil vom 28.02.2012; Aktenzeichen 3 O 255/10)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Hildesheim vom 28.2.2012 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 9.162,97 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.7.2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens nebst den Kosten der Nebenintervention trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschwer für die Beklagte: unter 20.000 EUR.

 

Gründe

I. Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und die Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II. Die Berufung der Beklagten ist weitgehend unbegründet.

Der Kläger kann die Beklagte gem. § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung seines Eigentums auf Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 9.162,97 EUR in Anspruch nehmen

a) Ein Teilstück des Abwasserrohres, welches quer durch den Bach "R." verlief, ist um den 6.5.2009 beschädigt worden. Soweit die Beklagte dies mit der Berufungsbegründung erstmals bestreiten will (Bl. 261 GA), muss sie sich an ihren eigenen Vortrag in der Klagebegründung festhalten lassen, wonach sie selbst den Schaden an dem im Flussbett verlegten Abwasserrohr am 6.5.2009, bemerkt hatte (Bl. 38 GA).

Eigentümer des beschädigten Abwasserrohres ist der Kläger. Soweit der Beklagte dies, wie schon in erster Instanz, in Abrede stellt, erweist sich ihr Bestreiten als unbeachtlich. Aus dem vorliegenden Vertrag vom 20.3.1995 zwischen dem Kläger und der Streithelferin zu 1 (Bl. 50 ff. GA) ergibt sich, dass der Kläger die Aufgabe der Abwasserbeseitigung in der Samtgemeinde I. übernommen hat und ihm das Eigentum an den entsprechenden Leitungen und Anlagen übertragen worden ist. Dieser Vertrag, der gemäß seinem § 9 unter einem Zustimmungsvorbehalt stand, ist wirksam geworden, nachdem die entsprechenden Zustimmungen erteilt worden sind (vgl. Bl. 113 ff. GA). Soweit die Beklagte meint, dass § 94 BGB der Eigentümerstellung des Klägers entgegen stehe, muss sie sich auf § 95 BGB verweisen lassen, denn Versorgungs- und Abwasserleitungen in fremden Grundstücken sind Scheinbestandteile nach § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB. Als Recht an einem fremden Grundstück im Sinne dieser Vorschrift gelten auch öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte (Stresemann in MünchKomm/BGB, § 95 Rz. 25). Für Abwasseranlagen folgt dies öffentliche Nutzungsrecht aus § 93 WHG.

b) Dafür, dass die Beklagte bei Durchführung ihrer Arbeiten am Flussbett

die dort verlegte Schmutzwasserleitung beschädigt hatte, spricht der Beweis des ersten Anscheins.

Die Grundsätze des Anscheinsbeweises finden in den Fällen Anwendung, in denen ein bestimmter (unstreitiger oder bewiesener) Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (BGH NJW 2004, 3623 m.w.N.). Dies gilt auch vorliegend.

Aufgrund des zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs zwischen den seitens der Beklagten vorgenommenen Arbeiten und dem Schadensereignis sowie den hierzu getroffenen Feststellungen des Sachverständigen P. ist mit dem LG nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises festzustellen gewesen, dass die von der Beklagten durchgeführten Arbeiten ursächlich für die Beschädigung der Schmutzwasserleitung des Klägers waren. Die Einwände der Beklagten hiergegen gehen fehl.

Die Beklagte hatte von der Streithelferin zu 1 den Auftrag erhalten, das Flussbett des kleinen Flusses "R." umzugestalten. Mitte April 2009 begann die Beklagte mit ihren Arbeiten. Nach ihrem eigenen Vortrag kippte sie an einem Tag Anfang Mai 2009 mittels eines Radladers Kies von der Brücke in das Flussbett. Parallel zu dieser Brücke durchquerte die Abwasserleitung des Klägers den kleinen Fluss in einer Tiefe von ca. 20 cm. Der aufgebrachte Kies wurde anschließend von der Beklagten mit...

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