Leitsatz (amtlich)
Hat der Versicherungsnehmer in der Kaskoversicherung bei einem Totalschaden für die Ersatzbeschaffung des Fahrzeugs tatsächlich mindestens Kosten in Höhe des Brutto-Wiederbeschaffungswerts aufgewendet, kann er gemäß A. 2.6.1 AKB 2013 deren Erstattung bis zur Höhe des Brutto-Wiederbeschaffungswerts verlangen, ohne dass es darauf ankommt, ob und ggf. in welcher Höhe der aufgewendete Betrag Umsatzsteuern enthält. Die Klausel A. 2.6.5 AKB 2013 steht dem nicht entgegen. Diese Regelung betrifft aus der Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers lediglich die fiktive Abrechnung (Anschluss an OLG Saarbrücken, Urteil vom 28.1.2009 - 5 U 278/08).
Normenkette
AKB 2013 Nr. A. 2.6.1; AKB 2013 Nr. A. 2.6.5
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 31.05.2016; Aktenzeichen 5 O 360/15) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 31.5.2016 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Lüneburg abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.579,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.9.2015 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von seinen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 EUR freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 9.579,83 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Berufung des Klägers ist begründet.
Das angefochtene Urteil beruht auf einem Rechtsfehler (§ 513 Abs. 1, 1. Alt., § 546 ZPO); die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1, 2. Alt. ZPO).
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte wegen des Unfallschadens seines bei der Beklagten vollkasko-versicherten Pkw gemäß §§ 1 Satz 1, 88 VVG i.V.m. A. 2.1.1, A. 2.6.1a), e) AKB 2013 ein Anspruch auf eine weitere Entschädigungszahlung in Höhe von 9.579,83 EUR zu (= Wiederbeschaffungswert von 60.000 EUR brutto abzgl. Restwert von 10.320 EUR abzgl. 300 EUR Selbstbeteiligung abzgl. der bereits von der Beklagten geleisteten Zahlung von 39.800,17 EUR).
a) Die Leistungspflicht der Beklagten dem Grunde nach ist nicht im Streit.
b) Der Kläger kann wegen des Totalschadens eine Schadensregulierung auf der Grundlage eines Wiederbeschaffungswerts von 60.000 EUR verlangen (A. 2.6.1a), e) AKB 2013).
Unstreitig beläuft sich der Wiederbeschaffungswert auf 60.000 EUR brutto. Der Kläger hat - wie die Beklagte nach Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des Verkäufers nicht mehr bestritten hat - für die Wiederbeschaffung Kosten aufgewendet, die den Brutto-Wiederbeschaffungswert übersteigen (64.500 EUR netto).
Hat der Versicherungsnehmer bei einem Totalschaden für die Ersatzbeschaffung des Fahrzeugs tatsächlich mindestens Kosten in Höhe des Brutto-Wiederbeschaffungswerts aufgewendet, kann er gemäß A. 2.6.1a), e) AKB 2013 deren Erstattung bis zur Höhe des Brutto-Wiederbeschaffungswerts verlangen, ohne dass es darauf ankommt, ob und ggf. in welcher Höhe der aufgewendete Betrag Umsatzsteuern enthält. Die Klausel A. 2.6.5 AKB 2013 steht dem nicht entgegen. Diese Regelung betrifft aus der Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers lediglich die fiktive Abrechnung.
Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat zu einer nahezu gleichlautenden Klausel (§ 13 AKB 2005) Folgendes ausgeführt (Urteil vom 28.1.2009 - 5 U 278/08 Rn. 29 ff.):
"Im Versicherungsrecht ergibt die Auslegung von § 13 AKB nach den oben dargelegten Grundsätzen in diesem Fall mit ausreichender Klarheit, dass der Versicherungsnehmer - ebenso wie im Schadensrecht - den tatsächlich aufgewendeten Betrag bis zur Höhe des Bruttowiederbeschaffungswertes unabhängig davon erhält, ob im Kaufpreis eine Regelumsatzsteuer, eine Differenzsteuer oder keine Umsatzsteuer enthalten ist. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer, der nicht über juristischen Kenntnisse zu § 249 Abs. 2 S. 2 BGB verfügt, bezieht nämlich die Regelung in § 13 Abs. 6 AKB auf den Fall der fiktiven Abrechnung, also den Sachverhalt, in dem die Ersatzbeschaffung oder Reparatur - nach einem Sachverständigengutachten, welches eine Umsatzsteuer ausweist - tatsächlich nicht erfolgt. Er kommt nicht auf den Gedanken, dass § 13 Abs. 6 AKB den von der Klägerin herangezogenen Fall überhaupt erfasst, weil beim Privatkauf keine Umsatzsteuer anfällt und eine Differenzierung danach, ob sie anfällt oder nicht, für ihn fernliegend erscheint. Fernliegende Auslegungsvarianten können jedoch regelmäßig nur in Betracht gezogen werden, wenn ausreichende Anhaltspunkte für eine solche Beurteilung der Bestimmungen vorliegen (BGH, Urt. v. 29.05.2008 - III ZR 330/07 - NJW 2008, 2495; BGH, Urt. v. 23.11.2005 - VIII ZR 154/04 - NJW 2006, 1056). Solche Anhaltspunkte gibt es nicht. Vielmehr hält sich der durchschnittliche Versicherungsnehmer aus seiner Sicht im Rahmen des Wiederbeschaffungswertes nach § 13 Abs. 1 S. 2 AKB, und wird an keiner Stelle auf eine bestimmte Art der Wiederbeschaffung ...