Entscheidungsstichwort (Thema)
Unaufklärbarkeit der Unterschreitung des seitlichen Sicherheitsabstandes eines Fahrradfahrers an einem geparkten PKW führt bei Kollision mit einer sich öffnenden (Fahrer-)Tür entgegen § 14 Abs. 1 StVO zur Alleinhaftung des PKW-Fahrers
Leitsatz (amtlich)
1. Gegen den PKWFahrer spricht der Beweis des ersten Anscheins, den Unfall verschuldet zu haben, wenn die Kollision eines Fahrradfahrers mit der geöffneten Fah-rertür im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Öffnen der Fahrertür erfolgte (§ 14 Abs. 1 StVO).
2. Ein die Alleinhaftung des PKW-Fahrers ausschließendes Mitverschulden des Radfahrers kann in einem zu geringen seitlichen Abstand des Fahrradfahrers zum geparkten PKW liegen, der - je nach den örtlichen Verhältnissen - mindestens 50 cm betragen sollte.
3. Die Darlegungs- und Beweislast für eine ein Mitverschulden begründende Unterschreitung des Seitenabstandes eines Fahrradfahrers zu einem geparkten PKW obliegt dem PKW-Fahrer.
Normenkette
BGB § 254; StVG § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2, § 7 Abs. 1, §§ 9, 14 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 12 O 258/15) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 26. März 2018 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover teilweise abgeändert und festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen gegenwärtigen und zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 14. Oktober 2014 auf der Straße "A. H. B." in L., zwischen dem vormaligen Kläger R. R. und der Beklagten zu 1, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.043,63 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21. Oktober 2015 zu zahlen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.972,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt als Alleinerbin und Rechtsnachfolger des am 29. Juli 2018 verstorbenen vormaligen Klägers R. R. (im Folgenden: Erblasser) aufgrund eines Verkehrsunfalls Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten zu 100 % für materielle und immaterielle Schäden.
Der am ... 1933 geborene Erblasser fuhr am 14. Oktober 2014 gegen 16.30 Uhr mit seinem Fahrrad die Straße "A. H. B." in L. von der H.straße kommend in Richtung "E.".
Die Beklagte zu 1 hatte ihren Pkw Ford in der insgesamt 5,1 Meter breiten Straße "A. H. B." in Höhe der Hausnummer ... ordnungsgemäß in einer auf dem - aus Sicht des Erblassers am rechten Fahrbahnrand gelegenen - Seitenstreifen vorgesehenen Parkfläche unter teilweiser Benutzung des Gehweges geparkt und wollte aussteigen. Als die Beklagte zu 1 ihre Fahrertür öffnete, kam es zu einer Berührung zwischen Fahrrad und Fahrertür, wodurch der Erblasser stürzte und sich verletzte. Er erlitt unfallbedingt ein Schädelhirntrauma mit schmalem subduralem Hämatom rechts, mit nicht dislozierter Impressionsfraktur rechts sowie eine diskrete bifrontale schmale Subarachnoidalblutung und wurde deswegen stationär vom 14. bis 22. Oktober 2014 stationär behandelt, befand sich anschließend bis zum 12. November 2014 in Kurzzeitpflege und vom 13. November bis 11. Dezember 2014 in einer stationären neurologischen Rehabilitationsmaßnahme.
Die Parteien streiten u. a. darüber, in welchem Umfang die Beklagte zu 1 die Fahrertür geöffnet hat und mit welchem Seitenabstand zum Beklagtenfahrzeug der Erblasser fuhr.
Der Erblasser hat als vormaliger Kläger in erster Instanz behauptet, die Beklagte zu 1 sei durch ihre außerhalb des Pkw befindliche Mutter abgelenkt gewesen und habe plötzlich und ohne Beachtung des rückwärtigen Verkehrs ihre Fahrertür geöffnet und dadurch den Unfall allein verursacht. Es habe sich durch die unfallbedingt erlittenen Verletzungen auch ein Zwerchfellhochstand rechts bei Phrenikusparese entwickelt, wodurch er unter Atemnot gelitten habe und auf unabsehbare Zeit ärztlicher Behandlung bedurft hätte. Er hat Feststellung der Alleinhaftung der Beklagten begehrt, wobei er den Feststellungswert des bisherigen immateriellen Schadens mit 50.000 EUR und des materiellen Schadens mit 10.560 EUR für rückständigen Haushaltsführungsschaden und zusätzlichen krankheitsbedingten Aufwand sowie mit weiteren 52.800 EUR für die zukünftige Jahresrente bemessen hat und darüber hinaus das Interesse an der Feststellung der zukünftigen materiell...