Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Frage, ob eine vertikale Preisbindung gegen § 21 Abs. 2, § 1 GWB i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt, ist das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit zu beachten, und zwar ungeachtet dessen, ob es sich um eine sog. Kernbeschränkung handelt.
2. Zur Frage der Spürbarkeit einer solchen Wettbewerbsbeschränkung, hier: Rabattaktion mit einer auf 12 bis 90 Dosen eines handelsüblichen Abnehmprodukts bei einem vorgegebenen Mindestpreis.
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 25.08.2015; Aktenzeichen 18 O 91/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 18. Zivilkammer des LG Hannover vom 25.8.2015 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger, ein Verein zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, nimmt die Beklagte - Herstellerin des Produkts "A.-Vitalkost" - auf Unterlassung in Anspruch.
Bei "A.-Vitalkost" handelt es sich um ein Lebensmittel für eine gewichtskontrollierende Ernährung, das die Beklagte als "das Abnehm-Produkt" bezeichnet. "A.-Vitalkost" wird in Apotheken, in Drogeriemärkten und durch verschiedene Anbieter im Internet vertrieben.
Anfang des Jahres 2014 - jedenfalls ab Februar - gab die Beklagte ein an Apotheker gerichtetes "einmaliges Aktions-Angebot" heraus, das im Falle einer Direktbestellung einen 30%igen Bar-Rabatt auf das genannte Produkt versprach, was mit den Worten eingeleitet wurde:
"Wir wissen: Nur das geschulte Fachpersonal der Apotheke kann dem Kunden, der häufig auch Patient ist, die besondere Wirkungsweise und die besonderen Vorteile von A. vermitteln.
Gerne unterstützen wir Ihre Kompetenz und Ihr Engagement durch besondere Aktionsangebote".
Im Folgenden heißt es weiter:
"Ihr Engagement liegt darin, A. gut sichtbar, mindestens drei Dosen nebeneinander im Regal oder in unserem Gratis-Verkaufsdisplay, zu präsentieren und einen Verkaufspreis von 15,95 EUR nicht zu unterschreiten (...)".
Nach dem darunter abgedruckten Bestellformular mussten mindestens 12, durften aber maximal 90 Dosen pro Apotheke bestellt werden. Der Preis pro Dose sollte 11,20 EUR zzgl. 7 % Umsatzsteuer bei freier Lieferung betragen.
Zu Dauer um Umfang der Aktion wurde weiter ausgeführt:
"Die Aktion läuft bis zum 31.12.2014. Jede Apotheke kann nur einmal zu den Vorzugsbedingungen bestellen (auch wenn weniger als 90 Dosen bestellt werden). (...)".
Oberhalb der Unterschriftszeile findet sich schließlich folgender - im Fettdruck hervorgehobener - Hinweis:
"Mit Nutzung dieses Aktionsangebots verpflichte ich mich, A. an gut sichtbarer Stelle mit mindestens drei Dosen nebeneinander oder im mitgelieferten Verkaufsdisplay in der Apotheke zu präsentieren und den VK-Preis von 15,95 EUR nicht zu unterschreiten."
Der Kläger hält die in dem "Aktions-Angebot" enthaltene Preisuntergrenze für kartellrechtswidrig, weswegen er die Beklagte erfolglos zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert hat.
Er hat dazu die Auffassung vertreten, es handele sich um eine verbotene vertikale Preisbindung, die - weil eine Kernbeschränkung betroffen sei - in aller Regel als spürbar anzusehen sei, zumal die Beklagte einen Marktanteil von mehr als 20 % innehabe. Die Aktion habe sich - wie der Kläger behauptet hat - bundesweit an alle Apotheker gerichtet, und zwar für das gesamte Jahr 2014, wobei das Produkt - unstreitig - ganz überwiegend über Apotheken vertrieben werde. Es sei an eine unbestimmte Anzahl Apothekeninhaber gesandt worden. Sämtliche angeschriebenen Apotheker, die allesamt "A. Vitalkost" in ihrem Sortiment hätten, hätten das Angebot auch wahrgenommen. Durch die bezweckte Vorteilsgewährung sei - so die Ansicht des Klägers - das Recht des Apothekers, seinen Weiterverkaufspreis selbst aufgrund eigener Entscheidung frei festzulegen, eingeschränkt worden, denn ihm sei als Abnehmer die Möglichkeit genommen worden, den erheblichen Aktionsrabatt ganz oder teilweise an die Verbraucher weiterzugeben, wodurch der Preis zu deren Nachteil künstlich hochgehalten werde.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Apothekern, die das Produkt "A.-Vitalkost" vertreiben, Preisvorteile für die Einhaltung einer Preisuntergrenze anzukündigen oder derartige Preisvorteile tatsächlich zu gewähren, wenn dies wie in der Anlage K 3.2 geschieht, indem die Beklagte in ihrer Werbemappe "Neues von A." an Apotheker mit der Ankündigung herantritt:
"Einmaliges Aktions-Angebot:
30 % Bar-Rabatt auf A.
...
Gerne unterstützen wir ihre Kompetenz und ihr Engagement durch besondere Aktionsangebote. Heute bieten wir Ihnen eine Direktbestellung bei ...