Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensminderungspflicht des Geschädigten im Bemühen um eine Arbeitsstelle und ggf. auch Schulungsmaßnahmen
Leitsatz (amtlich)
1. Es obliegt dem in seiner Arbeitskraft Geschädigten, seine verbliebene Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt - im Rahmen seiner Möglichkeiten und in den Grenzen des Zumutbaren - gewinnbringend einzusetzen.
Ggf. muss sich der Geschädigte um Schulungen bzw. Umschulungen bemühen.
2. Für den Vortrag, dass ein solches Bemühen von vorneherein erfolglos gewesen wäre, ist der Geschädigte darlegungs- und beweisbelastet.
3. Ein Verstoß gegen diese Schadensminderungspflicht führt dazu, dass ein eventueller Anspruch nicht bezifferbar ist.
4. Alleinige Zahlungen der Versicherung stellen kein Anerkenntnis dar und führen nicht dazu, das Berufen auf einen Obliegenheitsverstoß als treuwidrig erscheinen zu lassen.
Normenkette
BGB §§ 242, 254 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; SGB X §§ 116, 119; StVG §§ 7, 18
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 29.07.2020; Aktenzeichen 2 O 381/18) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29.7.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Lüneburg - 2 O 381/18 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.303,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.11.2018 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 185.849,25 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin und Berufungsbeklagte (im Folgenden Klägerin) verlangt von der Beklagten und Berufungsklägerin (im Folgenden Beklagte) die Erstattung von Leistungen. Die Klägerin gewährte ihrer Versicherungsnehmerin (im Folgenden Geschädigte) Leistungen im Zeitraum vom 1.1.2004 - 31.8.2018 in Höhe von 218.830,64 EUR. Diesen Betrag verlangt die Klägerin, abzüglich bereits von der Beklagten gezahlter 32.981,39 EUR, zurück.
Die Geschädigte wurde bei einem Verkehrsunfall am 27.8.2001 mit einer Versicherungsnehmerin der Beklagten schwer verletzt. Sie erlitt aufgrund des Unfalls u.a. eine Femurtrümmerfraktur links, Tibiakopffraktur links, Nasenbeinfraktur, Mittelfußknochenfraktur rechts. Wegen der Unfallfolgen hatte sie u.a. eine Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks, ein Reizknie links, eine Muskelminderung am linken Bein. Aufgrund einer Beinverkürzung links wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt. Sie verlor unfallbedingt ihren Arbeitsplatz als Bürokauffrau. Die Beklagte, als Haftpflichtversicherung, haftet für ihr am Verkehrsunfall beteiligtes Fahrzeug dem Grunde nach zu 100%. In einem früheren Rechtsstreit zwischen der Geschädigten und der Beklagten wurde die Beklagte mit Urteil vom 9.12.2008 vom Landgericht Lüneburg - 4 O 22/07 - (Anlage K6) u.a. dazu verurteilt, der Geschädigten die Differenz zwischen dem fiktiven Nettoerwerbseinkommen bei Fortsetzung ihrer Erwerbstätigkeit als Bürokauffrau vor dem Unfall und der von der Klägerin gezahlten Erwerbsminderungsrente für die Monate August bis Dezember 2006 zu zahlen (sog. Spitzbetrag).
Nach dem Unfall holten beide Parteien Gutachten zum Gesundheitszustand der Geschädigten ein. Ein von der Klägerin eingeholtes orthopädisches Gutachten vom 5.11.2004 stellte fest, dass die Erwerbsfähigkeit der Geschädigten bis zum 31.12.2005 aufgehoben sei (Anlage K 2). Der Sachverständige Dr. P. erwartete allerdings, sollten keine Komplikationen auftreten, dass die Geschädigte Anfang 2006 wieder eine sitzende Tätigkeit vollschichtig werde aufnehmen können. Im Dezember 2006 nahm das Arbeitsamt die Geschädigte aus der Vermittlung heraus, da sie - nach Begutachtung durch einen Arzt - nicht mehr für vermittlungsfähig erachtet wurde. Nach einem von der Beklagten eingeholten Gutachten im Jahr 2006 bewertete der Sachverständige Dr. E. die unfallbedingten Beeinträchtigungen der Geschädigten in dem ausgeübten Beruf als Bürokauffrau mit 10%. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt bewertete er die Erwerbsminderung mit 20% (Anlage B2).
Nach einer Reha-Maßnahme Anfang 2007 erfolgte am 26.7.2007 ein Entlassungsbericht, nach dem eine körperliche Leistungsfähigkeit für leichte Arbeiten, überwiegend im Sitzen bestehe (Anlage K3).
In einem weiteren von der Klägerin eingeholten Gutachten auf dem Gebiet der Orthopädie vom 18.9.2008 führte der Sachverständige Dr. L. aus, dass ein hinreichendes Leistungsvermögen für die zuletzt ausgeführte Büroarbeit bestünde. Ein qualitatives Leistungsvermögen wäre dabei arbeitstäglich für 3-6 Stunden anzuneh...