Normenkette
StVG § 7; BGB §§ 254, 823
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Aktenzeichen 4 O 285/01) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten zu 2) wird das am 12.2.2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Lüneburg teilweise geändert:
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer der Klägerin beträgt 7.000 Euro.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung der Beklagten zu 2) hat Erfolg und führt dazu, dass auch die gegen sie gerichtete Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.
Der Senat teilt die Auffassung des LG, dass sich ein Verschulden des Beklagten zu 1) an dem Verkehrsunfall in S., Ortsteil H., an der Kreuzung der H.-Straße (B 3) mit der Sch.-Straße (L 170) zwischen dem von ihm geführten und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Lkw IVECO-Magirus und der Klägerin als Radfahrerin nicht feststellen lässt. Im Gegensatz zur Auffassung des LG kann letztlich aber auch dahinstehen, ob die Beklagten den ihnen obliegenden Beweis zu führen vermögen, dass der Unfall für den Beklagten zu 1) unvermeidbar i.S.v. § 7 Abs. 2 StVG war.
Zwar spricht viel dafür, dass dies jedenfalls dann der Fall war, wenn die Klägerin – wie dies der Beklagte zu 1) gegenüber der Polizei am Unfallort angegeben hat – den kombinierten Fuß- und Radweg benutzt und in Höhe der im Kreuzungsbereich befindlichen Bordsteinabsenkung plötzlich und für ihn unvorhersehbar die H.-Straße zu überqueren versucht hat. Der Frage der Unvermeidbarkeit des Unfalls für den Beklagten zu 1) braucht hier jedoch deshalb nicht weiter nachgegangen zu werden, weil – ebenfalls im Gegensatz zur Auffassung des LG – unter den hier gegebenen Umständen die von dem Lkw ausgehende Betriebsgefahr ausnahmsweise vollständig hinter dem schweren Verschulden der Klägerin zurücktritt. Diese hat dadurch einen groben Verkehrsverstoß begangen, dass sie unvermittelt und ohne auf den fließenden Verkehr zu achten eine mit zwei Stoppschildern gesicherte Vorfahrtsstraße zu überqueren versucht hat. Von einer fast 15-jährigen Schülerin kann ebenso wie von jedem Erwachsenen die Einsichtsfähigkeit erwartet werden, dass sie eine derartige Beschilderung und das Vorrecht des Verkehrs auf der Vorfahrtsstraße beachten muss und sich entsprechend verhält. Die Minderjährigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls kann ihr daher unter den hier gegebenen Umständen nicht zugute gehalten werden. Dies gilt umso mehr, weil die Klägerin die hier in Rede stehende Kreuzung gut kannte; das Überqueren der H.-Straße war für sie nämlich erforderlich, um eine auf der anderen Seite der B 3 in der Nähe der Unfallstelle wohnhafte Klassenkameradin zu besuchen.
Der Sorgfaltsverstoß der Klägerin wiegt so schwer, dass die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 1) geführten Fahrzeugs dahinter völlig zurücktritt. Zwar ist nicht zu verkennen, dass gerade ggü. dem schuldhaften Verhalten von Kindern und Jugendlichen ein Zurücktreten der Betriebsgefahr nur in besonderen Fällen in Betracht kommen kann, um den Zweck der Gefährdungshaftung des § 7 Abs. 1 StVG nicht zu unterlaufen. Eine völlige Haftungsfreistellung kommt jedoch sogar ggü. diesem Personenkreis dann in Betracht, wenn auf der Seite des Kindes bzw. Jugendlichen – gemessen an dessen altersspezifischen Verhalten – auch subjektiv ein besonders vorwerfbarer Sorgfaltsverstoß vorliegt (vgl. BGH v. 13.2.1990 – VI ZR 128/89, MDR 1990, 811 = NZV 1990, 227 [229]). Davon ist hier aber auszugehen. Gemessen am altersspezifischen Verhalten von 14-jährigen Jugendlichen stellt die Fahrweise der Klägerin einen auch subjektiv besonders vorwerfbaren Sorgfaltsverstoß dar. Eine altersgemäß entwickelte Jugendliche dieser Altersstufe weiß, dass man nicht mit unverminderter Geschwindigkeit mit dem Fahrrad eine Bundesstraße überqueren darf, ohne sich zu vergewissern, dass kein bevorrechtigter Verkehr auf dieser herannaht (so auch OLG Braunschweig NZV 1998, 27 [28] m.w.N.; vgl. auch OLG Bremen v. 4.6.1980 – 3 U 13/80, VersR 1981, 735 f.; OLG Hamm v. 15.2.1990 – 27 U 261/89, VersR 1992, 204 f.).
Zwar ist es richtig, dass die Betriebsgefahr eines Lkw grundsätzlich höher ist als diejenige eines Pkw. Diese erhöhte Betriebsgefahr hat sich in der hier zu beurteilenden konkreten Unfallsituation jedoch nicht ausgewirkt. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die Folgen des Unfalls für die Klägerin bei einer gleichartigen Kollision mit einem Pkw nicht weniger schwer wiegend ausgefallen wären. Nicht zuletzt angesichts dieses Umstands erscheint es dem Senat gerechtfertigt, die von dem vom Beklagten zu 1) geführten Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr – wie dargelegt – hier vollständig hinter dem groben Verkehrsverstoß der Klägerin zurücktreten zu lassen.
Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten zu 2) auch die gegen sie gerichtete Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt...