Leitsatz (amtlich)
1. Im Insolvenzanfechtungsprozess ist die Erstellung einer Liquiditätsbilanz nicht erforderlich, wenn auf andere Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte. Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit.
2. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus. Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen.
Normenkette
InsO §§ 133, 142
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 23.12.2014; Aktenzeichen 20 O 240/13) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 23.12.2014 verkündete Urteil des LG Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungswert: 140.641 EUR.
Gründe
I. Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter von der Beklagten Zahlung von 140.641,60 EUR nebst Zinsen aus Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO. Das Insolvenzverfahren wurde auf Eigenantrag der Schuldnerin vom 21.05.2012 am 01.08.2012 vom AG Siegen eröffnet.
Die Beklagte beriet die spätere Insolvenzschuldnerin im Rahmen der Erstellung eines Sanierungsgutachtens auf der Grundlage einer von der Firma K. im Februar 2011 erstellten sog. Fortführungsprognose (K 7). Gegenstand des Auftrags war die Erstellung eines Sanierungskonzepts, das die Beklagte am 29.03.2011 vorlegte (Anlage K 8). Im Zeitraum vom 21.02.2011 bis 31.12.2011 erbrachte die Schuldnerin Zahlungen an die Beklagte zum Ausgleich deren Rechnungen (Aufstellung Bl. 4, 5 d.A.). Diese Zahlungen in Höhe von insgesamt 140.641,60 EUR sind Gegenstand der Klage.
Der Kläger hat behauptet, die Schuldnerin sei bereits seit Februar 2011 zahlungsunfähig gewesen. Die erbrachten Leistungen seien daher anfechtbar und zurück zu gewähren. Der Beklagten sei auch der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin bekannt gewesen. Der Sanierungsversuch habe daran nichts geändert.
Das LG hat der Klage stattgegeben und die Anfechtung aus § 133 InsO für begründet gehalten. Gegen dieses Urteil, auf das wegen der weiteren Einzelheiten gemäß § 540 ZPO verwiesen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie die Klagabweisung weiter verfolgt.
Sie rügt das Urteil als Überraschungsentscheidung, weil das LG entgegen zuvor erteilten Hinweisen dann doch die Klage als schlüssig angesehen habe, ohne die Beklagte zuvor auf die geänderte Rechtsauffassung hinzuweisen. Deshalb sei es der Beklagten nicht verwehrt, ergänzend zu den subjektiven Voraussetzungen des § 133 InsO vorzutragen und diese zu widerlegen.
Dabei habe das LG auch verkannt, dass hier besondere Anforderungen an die Feststellung des Vorsatzes des Schuldnerin und auch der Kenntnis der Beklagten zu stellen sind, weil hier aufgrund der eingeholten Gutachten Sanierungsbemühungen stattgefunden hätten. Dies gelte auch, weil das LG im Ergebnis nur von einer wohl drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ausgegangen sei. Zu berücksichtigen sei zudem, dass es sich bei den Rechtshandlungen der Schuldnerin (Zahlungen an die Beklagte zum Ausgleich der Beratungsleistungen) um kongruente Deckungen gehandelt habe, die bargeschäftsähnlich seien. Auch die Feststellungen zur (nur) drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin seien nicht überzeugend. So habe das LG nicht gesehen, dass die Verbindlichkeiten aus Steuerschulden vom Finanzamt gestundet worden seien, was für eine positive Prognose spreche. Ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin sei entgegen der Auffassung des LG nicht bewiesen. Dies gelte vor allem vor dem Hintergrund des bereits in den Anfängen umgesetzten Sanierungskonzepts der Beklagten mit ernsthaften Aussichten auf Erfolg. Die Auffassung des LG, dieses sei nicht ansatzweise umgesetzt, sei dagegen nicht haltbar. Bei einem entsprechenden Hinweis seitens des LG hätte die Beklagte vorgetragen, dass das Sanierungskonzept bereits in
Teilen umgesetzt worden war. Dazu trägt die Beklagte ergänzend vor (BB 7 ff. = Bl. 187 ff.). Aufgabe des von der Beklagten erarbeiteten Konzepts im Anschluss an das K.-Gutachten, das die Banken als unzureichend angesehen hatten, sei es gewesen, dass die Banken weiteren Kredit gewähren, die Kreditlinien erhöhen und sich eine drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin in ihr Gegenteil verkehre. Hierdurch sei die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin auch zunächst verhindert worden. Auch dies stehe einem Benachteiligungsvorsatz der Schuldne...