Entscheidungsstichwort (Thema)
Erleichterte Räumungsverfügung bei Geschäftsraummietverhältnissen
Leitsatz (amtlich)
Die in § 940 a ZPO zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung kann nicht im Rahmen der Anwendung von § 940 ZPO auf Geschäftsraummietverhältnisse übertragen werden.
Normenkette
ZPO §§ 940, 940a
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 15.11.2019; Aktenzeichen 16 O 206/19) |
Tenor
Die Berufung der Verfügungskläger gegen das am 15. November 2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.
Die Verfügungskläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 27.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil die Darstellung etwaige Änderungen und Ergänzungen wird gemäß § 540 Abs. 2 in Verbindung mit §§ 313 a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Verfügungskläger ist nicht begründet.
Die Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover hat die einstweilige Verfügung vom 27 September 2019 zu Recht aufgehoben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Der Einzelrichter der 16. Zivilkammer vom 27. September 2019 hat die einstweilige Verfügung, durch den die Verfügungsbeklagten verpflichtet worden ist, die streitgegenständlichen Räume zu räumen und an die Verfügungskläger herauszugeben, zu Unrecht erlassen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Räumungsverfügung waren zum damaligen Zeitpunkt und sind auch jetzt nicht gegeben.
Die Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt, dass den Verfügungsklägern zwar ein Räumungs- und Herausgabeanspruch zusteht, es jedoch an dem für den Erlass einer einstweilen Verfügung erforderlichen Verfügungsgrund fehlt.
1. Die Einzelrichterin hat jedenfalls im Ergebnis mit Recht angenommen, dass ein Verfügungsgrund im Sinne von § 940a Abs. 2 ZPO nicht gegeben ist. Nach dieser Vorschrift darf die Räumung von Wohnraum durch eine einstweilige Verfügung auch gegen einen Dritten angeordnet werden, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt hat. Sowohl die Überschrift dieser Norm als auch deren eindeutiger Wortlaut machen deutlich, dass diese Vorschrift ausschließlich auf Mietverhältnisse über Wohnraum anwendbar ist. Eine (auch analoge) Anwendung auf Geschäftsraummietverhältnisse scheidet aus (Senat, NJW-RR 2015, 711, zitiert nach juris Rn. 4ff; siehe Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Auflage, § 940a Rn. 1; vergleiche auch Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 32. der Auflage, § 940 a Rn. 7).
2. Die in der Vorschrift des § 940a ZPO zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung kann auch nicht über die Vorschrift des § 940 ZPO als "Ankernorm" auf Geschäftsraummietverhältnisse übertragen werden.
Soweit das Kammergericht in einer Entscheidung vom 9. Mai 2019 sowie das Oberlandesgericht Frankfurt in einer Entscheidung vom 13. September 2019 dem Oberlandesgericht München folgend eine (mittelbare) Anwendbarkeit von § 940a ZPO über § 940 ZPO bejahen, vermag diese Auffassung den Senat nicht zu überzeugen.
Die Argumentation des Oberlandesgerichts München, des Kammergerichts sowie des Oberlandesgerichts Frankfurt laufen im Ergebnis auf eine dem Prinzip der Gewaltenteilung zuwiderlaufende und daher nicht statthafte Korrektur des Gesetzgebers hinaus.
Sowohl die Überschrift der Norm des § 940 a ZPO sowie dessen (unzweideutiger) Wortlaut machen - wie bereits ausgeführt - deutlich, dass es sich um eine Norm handelt, die ausschließlich für Wohnraum Anwendung findet. Sie ist daher nicht, auch nicht analog anwendbar, wenn es um die Räumung von Gewerberaum geht. Denn für einen "wenn schon, dann erst recht" -Schluss ist bei Spezialvorschriften dieser Art kein Raum, weil er auf eine der Gewaltenteilung zuwiderlaufende Korrektur des Gesetzgebers hinausliefe (Schuske, in: Schuske/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 6. Aufl., § 940 a ZPO Rn. 7). Eine solche nicht erlaubte Korrektur des Gesetzgebers liegt aber auch dann vor, wenn zwar nicht die Norm selbst unmittelbar analog herangezogen wird, wohl aber deren Wertungen (so zutreffend Schuske, a.a.O. Rn. 7 Fn. 25 unter Hinweis auf die Argumentation des LG Hamburg in NJW 2013, 3666).
Die Argumentation des Oberlandesgerichts München und der ihm folgenden Oberlandesgerichte vermag überdies auch aus dogmatischen Erwägungen nicht zu überzeugen.
Wenn - wie bei § 940 ZPO - ein Werturteil erforderlich ist, weil ein Sachverhalt erst nach einem zu konkretisierenden "ausfüllungsbedürftigen" Maßstab zu beurteilen ist, kommt zwar maßgeblich die Methode der Fallvergleichung und Typisierung zur Anwendung...