Leitsatz (amtlich)
1. Der Schutzzweck des § 41 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. dem Zeichen 245 StVO (Busspur) besteht darin, in verkehrsreichen Gegenden und Zeiten den öffentlichen Personenverkehr ggü. dem Individualverkehr zu fördern und dient nicht dem Schutz des Querverkehrs, weder abbiegenden Fahrzeugen noch kreuzenden Fußgängern.
2. Dennoch braucht ein Fußgänger in der Regel nicht mit verkehrswidrigem Fahren - hier: verbotswidrige Benutzung einer Busspur durch einen Radfahrer im Gegenverkehr - zu rechnen und darf sich darauf verlassen, dass er nicht von links her angefahren wird.
3. Ein auf der falschen Seite fahrender Radfahrer muss sich darauf einrichten, dass andere Verkehrsteilnehmer mit einem solchen Verhalten nicht rechnen, und muss sich deshalb auf diese potentielle Gefahrensituation einstellen.
Normenkette
StVO §§ 25, 41
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 25.11.2009; Aktenzeichen 6 O 85/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25.11.2009 verkündete Teilgrund- und Teilendurteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des LG Hannover teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass der Klägerin gegen den Beklagten dem Grunde nach ein Anspruch auf vollen Schadensersatz aufgrund des Verkehrsunfalls vom 16.5.2007 auf der Ferdinand-Wallbrecht-Straße in Hannover zusteht.
2. Es wird festgestellt, dass der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldesaufgrund des vorgenannten Unfalls ohne Berücksichtigung eines eigenen Mitverschuldens zusteht.
3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, sämtliche weiteren Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 16.5.2007 zu erstatten, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.
4. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der ersten Instanz bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
5. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
7. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin war an dem streitbefangenen Verkehrsunfall vom 16.5.2007 als Fußgängerin, der Beklagte als Radfahrer beteiligt. Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf das angefochtene Urteil (Bl. 132 ff. d.A.) verwiesen, mit dem das LG dem Grunde nach die Ansprüche der Klägerin zu 2/3 für berechtigt erachtete (allerdings die - wohl beabsichtigte - Abweisung der weitergehenden Klage unterlassen hat).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, die nach wie vor vollständigen Schadensersatz aus dem Unfallereignis vom 16.5.2007 begehrt. Sie stellt sich ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von ca. 30.000 EUR vor und begehrt Erstattung entstandenen Verdienstausfalls sowie eines behaupteten Haushaltsführungsschadens. Ferner begehrt sie Ersatz weitergehender materieller Schäden in Form von Fahrtkosten, beschädigter Kleidung pp.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen die rechtliche Bewertung des LG, sie sei als kreuzende Fußgängerin weder in den Schutzzweck des § 41 Abs. 2 Nr. 5, Zeichen 245 StVO (Busspur) noch in den Schutzzweck des § 2 Abs. 1 Satz 1 StVO einbezogen.
Das LG habe zu Unrecht offen gelassen, ob bereits zum Unfallzeitpunkt durch das Verkehrszeichen Nr. 237 geregelt gewesen sei, dass der Beklagte zwingend den Radweg auf der anderen Straßenseite habe benutzen müssen, denn daraus ergebe sich ein noch stärkeres Verschulden seinerseits.
Ebenso wenig habe das LG Feststellungen zu ihrer (der Klägerin) Behauptung unterlassen dürfen, der Beklagte sei entgegen § 3 StVO mit unangemessen überhöhter Geschwindigkeit gefahren.
Das LG habe ihr zu Unrecht ein Mitverschulden angelastet, weil sie den Fußgängerüberweg am Lister Platz habe benutzen müssen. Zum einen sei die Entfernung zu der Lichtzeichenanlage nicht unerheblich, zum anderen habe sie, um die Ampel zu erreichen, noch eine weitere Straße überqueren müssen, woraus sich ein erhöhtes Gefährdungspotential für sie ergeben habe.
Da die Ampel am Lister Platz noch auf Rot geschaltet gewesen sei, habe für sie (die Klägerin) keine Gefahr beim Überschreiten der Straße bestanden, da insbesondere nicht das Risiko bestanden habe, dass die Fahrzeuge in dem vor der Ampel stehenden Stau wieder anfahren würden.
Die Klägerin beantragt, wie erkannt.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Er hält durchaus eine Quotierung von 50: 50 für vertretbar und angemessen und behauptet, er sei sehr langsam gefahren. Die Klägerin hafte schon deshalb zumindest 1/3, weil sie gegen ihre Pflichten als Fußgängerin verstoßen habe.
II. Die zulässige Berufung der Klägerin hat Erfolg. Der Beklagte hat ihr für die Folgen des Unfalls vom 16.5.2007 in vollem Umfang Schadensersatz zu leisten.
Entgegen der Auffassung des LG und des Beklagten führt die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge der Parteien am Zustandekommen des Unfalls gem. § 254 BGB zu einer alleinigen ...